Blutrote Lilien
einsehen, dass man unmöglich eine Ehe eingehen sollte, wenn man schon vorher weiß, dass die beiden Parteien nicht zusammenpassen.«
»Werde ich?«
Jeanne sah unglücklich zu Boden und Henri verschränkte die Arme. Sicher verstand er, worauf ich hinauswollte. Es lag doch auf der Hand, dass die ganze Sache mit dem Marquis zum Scheitern verurteilt war. War es da nicht besser, man kürzte das Elend ab?
Einen Moment war es ganz still am Tisch, dann riss Vater seine Serviette vom Schoß und warf sie mit so viel Schwung auf den Tisch, dass er sein Weinglas umwarf, dessen Inhalt sich im Sturzbach über die Damastdecke verteilte.
Jeanne, die verhindern wollte, dass der Wein sich weiter ausbreitete, sprang auf und versuchte hektisch, mit ihrer Serviette den Wein aufzuwischen, erreichte aber nur, dass sie mit dem Ellbogen einen Teller anschubste, der gefährlich wackelte. Dadurch erschrocken zuckte sie zurück und erwischte die Terrine, deren Deckel scheppernd zu Boden ging. Fassungslos starrte sie darauf und setzte sich dann wieder.
Henri rief laut: »Sei doch nicht so ungeschickt!«, worauf sie in Tränen ausbrach und Vater wütend die Faust auf den Tisch hieb.
»Was soll denn der Unsinn?«, rief er. »Glaubt hier vielleicht jeder, er kann machen, was er will? Jetzt ist ein für alle Mal Schluss mit diesen Kinkerlitzchen. Henri, nehmt Eure Frau und sorgt dafür, dass sie aufhört zu weinen. Das ist ja nicht zum Aushalten, Frau«, sagte er noch in Jeannes Richtung, bevor er sich an die Diener wandte, die herbeigeeilt kamen, um das Malheur zu beseitigen. »Ihr könnt abräumen, das Essen ist beendet.« Dann sah er mich an und zeigte mit dem Zeigefinger auf mich. »Und du wirst aufhören, solchen Unsinn zu reden. Ich werde die Hochzeit mit dem Marquis sicher nicht absagen, nur weil dir etwas nicht passt. Hier geht es nicht um den Besuch bei einer Modistin. Du kannst nicht einfach einen neuen Ehemann bestellen, bloß weil dir dieser nicht gefällt.«
»Aber er liebt mich nicht ...«, versuchte ich es noch einmal, doch das war genau das Falsche, wie ich sofort merkte, denn Vaters Gesichtszüge wurden noch ein wenig finsterer und er donnerte: »Das ist ja noch schöner. Was hat denn Liebe damit zu tun?«
»Du hast selbst gesagt, dass de Bassompierre gesellschaftlich eigentlich unter uns steht, sicher findet sich jemand, der geeigneter ist.«
»Schluss jetzt, Charlotte! Ich will nichts mehr davon hören. Es spielt keine Rolle, ob der Marquis unter unserer Würde ist. Der König wünscht diese Hochzeit, de Bassompierre zählt zu seinen Favoriten und auch die Königin ist dafür. Sie wollen den Marquis belohnen. Mit welchem Recht stellst du dich gegen die Wünsche deines Königs?«
Ich erkannte Vater kaum wieder. War es ihm völlig gleichgültig, dass der König, indem er de Bassompierre mit der Heirat in unsere Familie belohnte, mir eine Schmach antat, weil er mich an einen Mann band, der so wenig Respekt vor mir hatte wie Henri vor den Protestanten?
»Ab jetzt will ich kein Wort mehr davon hören«, sagte er noch einmal und blickte mich dabei eindringlich an. »Hast du verstanden?«
Erst als ich nickte, stand er auf und verließ das Zimmer, noch immer wütend, wie die hochgezogenen Schultern verrieten.
Verstanden hatte ich, aber abfinden konnte ich mich nicht. Das erste Mal in meinem Leben fühlte ich mich von meinem eigenen Vater verraten und ich hatte das Gefühl, es wäre besser gewesen, ich hätte den Louvre nie betreten.
An diesem Abend stand ich lange am Fenster. Der Winter bäumte sich ein letztes Mal auf und brachte frischen Schnee, der alles mit einer glitzernden weißen Schicht bedeckte. Die Kälte drang durch das Glas in den Raum, doch obwohl mich fröstelte, wich ich nicht vom Fenster. Zu sehr hoffte ich darauf, auf der anderen Seite meinen geheimnisvollen Schatten zu sehen. Sein Anblick hätte mir Trost gespendet.
Aber er kam nicht. Wer immer der Schatten auch war, in dieser Nacht hatte er wohl andere Verpflichtungen.
Mit einem Mal war mir, als hätte mich ebenfalls jemand mit Schnee zugedeckt. Fast konnte ich den Schnee auf meinen Schultern spüren – und die Kälte kroch mir unter die Haut, so eng ich das Tuch auch um mich schlang.
- 8 -
Um mich abzulenken, verbrachte ich fast jede freie Minute, in der ich nicht im Unterricht sitzen musste, in der königlichen Falknerei bei Mars. Sophie war nicht immer an meiner Seite, denn sie fürchtete sich vor den Vögeln und konnte der Beizjagd nichts
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