Blutrote Lilien
widersprechen, aber beleidigen wollte ich meinen Bruder auch nicht, daher erwiderte ich vorsichtig: »Er diskutiert gern und engagiert sich, das hat er wohl von Großvater.«
»Nun, dann wollen wir hoffen, dass Euer Bruder noch lernt, wann es sich lohnt zu diskutieren und wann man besser schweigt.« Jetzt sah er mir in die Augen, als erwarte er Zustimmung, daher nickte ich.
War das etwa der Grund, warum er mich hergebeten hatte? Um über Henri zu reden? Womöglich waren ihm Henris Reden über die Hugenotten schon zu Ohren gekommen, genau wie Vater befürchtet hatte. Aber würde der König dann nicht eher mit Vater darüber reden?
Unruhig rutschte ich auf meinem Schemel hin und her, während der König unter seinen Schriftstücken ein Buch hervorzog, auf dessen Ledereinband ein Falke in Gold geprägt war. Darüber stand in Lateinisch: De arte venandi cum avibus .
»Wisst Ihr, was das ist?«, fragte er, während er es in die Höhe hielt.
»Das ist das Buch, das Friedrich II. über die Beizjagd geschrieben hat. Es heißt Die Kunst, mit Vögeln zu jagen .«
Zufrieden nickte der König. »Ich hätte mir denken können, dass Ihr davon gehört habt. Habt Ihr es auch gelesen?«
»Ja. Mein Vater hat es mir geschenkt, zusammen mit meinem ersten Falken.«
»Euer Vater ist ein vernünftiger Mann. Ihr könnt viel aus diesem Buch lernen. Nicht nur über Falken, auch über den Menschen, der Umgang mit ihnen pflegt. Kommt, lest mir daraus vor. Ihr scheint mir genau die Richtige, um mich von meinen trüben Gedanken abzulenken. Die Zeiten werden schlechter, dabei sind sie doch gerade erst besser geworden, sollte man meinen.« Ungehalten schüttelte er den Kopf, doch er erklärte mir nicht, was er mit dieser Äußerung meinte.
Vorsichtig griff ich nach dem Buch. An einigen Stellen war es bereits verschlissen, das Leder war brüchig und das Gold blätterte ab. Der König musste es schon oft in den Händen gehalten haben. »Wollt Ihr, dass ich an einer bestimmten Stelle beginne?«
»Nein, beginnt ruhig am Anfang.«
Das Vorlesen störte mich nicht, zu Hause in Chantilly hatte ich meinen jüngeren Geschwistern oft vorgelesen. Vor allem im Winter, wenn es draußen zu kalt war, um in den weiten Parks spazieren zu gehen.
So saßen wir eine Weile, der König und ich, und er lauschte meinen Worten, während im Kamin das Feuer prasselte. Sein Blick wirkte abwesend, aber ich erinnerte mich an Sophies Worte, dass er dennoch sehr genau mitbekam, was in seiner Umgebung passierte.
Danach unterhielten wir uns über die Falkenzucht. Er wollte wissen, aus welchen Ländern wir unsere Falken bezogen und wie wir sie abtrugen. Ich berichtete ihm von der Falknerei in Chantilly und welche Abenteuer ich mit Mars schon erlebt hatte. Wie sich herausstellte, eignete sich die Falknerei doch ganz ausgezeichnet als Gesprächsthema und mit einer gewissen Schadenfreude dachte ich an Madame Morens.
Der König war ein aufmerksamer Zuhörer, und je länger wir uns unterhielten, desto mehr verlor ich meine Scheu vor ihm. Nach einer guten Stunde musste ich ihn jedoch verlassen. Die Staatsgeschäfte konnten nicht länger auf ihn warten.
Die Herzogin von Guise erhob sich wie auf ein geheimes Kommando und begleitete mich nach draußen. An der Tür hielt mich der König zurück.
»Ihr seid eine angenehme Ablenkung von den schwierigen Geschäften, Mademoiselle de Montmorency. Ich wäre erfreut, wenn Ihr mir bald wieder Gesellschaft leisten würdet.«
»Danke, Eure Majestät.« Ich machte meine Referenz und verabschiedete mich auch von der Herzogin von Guise, die noch kurz beim König stehen blieb, um mit ihm im Flüsterton zu sprechen. Als ich den Gang entlanglief, verfolgten mich die Augen der Pagen unter gesenkten Lidern.
Nachdem ich um die erste Ecke gebogen war, blieb ich unschlüssig am Treppenaufgang stehen. Mir schwirrte der Kopf vom Gespräch mit dem König, denn ich fragte mich, was ihn nur dazu bewogen hatte, mich zu sich rufen zu lassen. Es musste mehr dahinterstecken als nur unsere gemeinsame Begeisterung für die Falken, schließlich hätte er sich dann auch mit Monsieur de Luyenes unterhalten können. Mir war nicht entgangen, dass die Herzogin von Guise mir so manchen kritischen Blick zugeworfen hatte, wenn sie glaubte, dass es keiner bemerkte. Es hieß, sie stünde genau wie de Bassompierre in der Gunst beider Monarchen und ich hatte sie ja schon mit der Königin zusammen gesehen. Ob sie ihr berichtete, was der König und ich besprochen hatten?
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