Blutrote Lilien
eine alte Liebe.
»Ich weiß, was die Leute reden, Charlotte, ich kenne sie besser als Ihr. Ihre Herzen sind kalt und ihre Geister nehmen immer zuerst das Schlimmste an, so sind sie nun einmal.« Der König sah mich nicht an, er schien mehr zu sich selbst zu sprechen als zu mir. »Sie trauen sich nicht, es mir ins Gesicht zu sagen, aber ich weiß auch so, was sie denken. Sie lachen über mich, weil ich Eure Gesellschaft suche, da Ihr doch so jung seid. Aber wie könnte ich nicht?« Jetzt blickte er mich doch an, und in seinen Augen lag etwas wie Bedauern. »Ihr seid noch nicht so verdorben wie die Hunde hier im Louvre, Euch haben die Boshaftigkeit und der Stumpfsinn noch nicht erreicht. Was nützt es, sich mit den schönsten Dingen zu umgeben, wenn sich niemand mehr daran erfreuen kann? Ach, Gabrielle ...« Er seufzte.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, der König war tief in Erinnerungen versunken; so saßen wir schweigend am Feuer. Ob die Königin wusste, dass sie im Schatten einer Erinnerung an eine andere Frau lebte?
In ihrer üblichen Ecke räusperte sich die Herzogin von Guise, als wäre ihr die Geschichte unangenehm. Doch sie sagte nichts dazu. Sie schaute mich nur nachdenklich an, dabei hatte sie die Augenbrauen zusammengezogen.
Als ich den König an diesem Nachmittag verließ, hatte sich seine trübe Stimmung auf mich übertragen. Schwermütig trat ich den Weg zu unserem Appartement an. Mein Weg führte mich durch die große Eingangshalle am nördlichen Tor, in dem sich eine Gruppe Menschen angesammelt hatte, deren laute Stimmen ich schon auf der Treppe hörte. Ein Diener rannte nervös an mir vorbei, vor sich hatte er die Hände gefaltet, als würde er im Laufen beten. An der Tür hatten sich Männer der königlichen Garde postiert, Marschall de Vitry stand mit versteinertem Gesicht daneben. Etwas Ernsthaftes musste vor sich gehen.
Als ich am Fuß der Treppe ankam und die Eingangshalle einsehen konnte, erkannte ich die Stimme meines Bruders Henri.
»Ihr werdet Euch dafür rechtfertigen müssen, de Rohan! Diesmal könnt Ihr Euren Kopf nicht so leicht aus der Schlinge ziehen!«
Ich trat näher und sah, dass Henri mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Herzog Montbazon zeigte, Sophies Vater. Sophie stand nur wenige Schritte hinter ihrem Vater. Ihr Gesicht war ganz weiß und ihre Schultern zitterten. Nicht weit von Henri entfernt hatten sich der Herzog d’Épernon und Leonora Concini aufgestellt. Ihre Anwesenheit deutete mir nichts Gutes.
Ich drängte mich durch die Menge bis an Sophies Seite und fasste nach ihrer Hand, die eiskalt war.
»Was ist passiert?«, flüsterte ich ihr zu.
Mit ängstlichem Gesichtsausdruck blickte sie mich an. Als sie mir antwortete, war ihre Stimme leise und zittrig. »Dein Bruder behauptet, wir hätten vor drei Tagen an einem Gottesdienst in Charenton teilgenommen. Er behauptet, dass er uns dort gesehen hätte.«
Mein Herz begann wild zu schlagen. Wenn das wahr wäre, dann hätten die de Rohans gegen das Edikt von Nantes verstoßen, das ihnen zwar die Religionsausübung gestattete, jedoch auch verbot, protestantische Gottesdienste in Paris und einer Umgebung von fünf Meilen um die Stadt abzuhalten.
»Aber vor drei Tagen warst du mit mir bei der Schneiderin, Sophie. Wie willst du rechtzeitig nach Charenton gekommen sein?«
Sie nickte und sah wieder zu Henri und ihrem Vater, die sich auf Armeslänge gegenüberstanden. Warum log Henri? Meinte er wirklich, Sophies Familie dort gesehen zu haben?
»Wenn sie ihm glauben ...« Sophie sprach nicht zu Ende, doch die Angst vor den Konsequenzen war ihr anzusehen. Das war kein Kavaliersdelikt. Sollte der Hof Henris Anschuldigen glauben, half dem Herzog de Montbazon auch seine Gunst beim König nichts.
»Henri!«, rief ich, doch zuerst bemerkte mein Bruder mein Rufen nicht. Erst, als ich seinen Namen mehrfach wiederholt hatte, drehte er sich zu mir um.
»Was ist?«, schnappte er.
»Vermutlich irrst du dich. An diesem Tag war ich mit Sophie bei der Schneiderin, sie kann unmöglich zur Zeit der Gottesdienste vor Paris gewesen sein. Du musst sie verwechseln.«
Wütend sah er mich an und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, meinen eigenen Bruder nicht zu kennen. »Halt dich da raus, Charlotte!«, befahl er und wandte sich dann wieder de Rohan zu.
Ich musste etwas unternehmen, sonst würde gleich etwas Schreckliches passieren. Ich wollte meinen Bruder nicht als Lügner hinstellen, aber ich konnte auch nicht
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