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Blutrote Lilien

Blutrote Lilien

Titel: Blutrote Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Weise
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zulassen, dass Sophies Familie einer Sache beschuldigt wurde, die sie nicht begangen hatte. Wenn meine Äußerungen Zweifel an Henris Geschichte aufkommen ließen, würde der König die Geschichte wahrscheinlich fallen lassen und sie als die Verwechslung auffassen, die sie ja offenbar war.
    Entschlossen lief ich zu Henri und fasste nach seinem Arm, aber er schüttelte mich ab, als sei ich lästig. »Du musst mir glauben. Du musst dich geirrt haben.«
    »Ich habe mich nicht geirrt.« In seinen Augen lag eine Wut, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte, und dieses Mal galt sie mir.
    D’Épernon trat zu uns. »Oh, Ihr wisst doch, wie die Damen manchmal sind, sie glauben sich zu erinnern, behaupten felsenfest, ihren Schmuck hier abgelegt zu haben, und dann findet man ihn dort, genauso wie ihre Fächer oder Duftwässer. Das Gedächtnis einer Frau ist manchmal wie das Netz eines bretonischen Fischers.«
    »Habt Ihr das auch schon der Königin gesagt?«, entfuhr es mir und ringsum war ein empörtes Luftschnappen zu hören. »Wenn Ihr der Meinung seid, dass Frauen ein so schlechtes Gedächtnis besitzen, dann trifft das zweifellos auch auf die Königin zu. Oder wollt Ihr etwa behaupten, die Königin wäre keine Frau?«
    D’Épernon wurde erst weiß, dann rot im Gesicht und streckte die Hand nach mir aus. Doch bevor er nach mir greifen konnte, hatte mich Henri am Arm gepackt und zog mich Richtung Ausgang.
    »Was erlaubst du dir?«, tobte er.
    »Was ich mir erlaube? Was erlaubt sich dieser aufgeblasene Affe? Ich weiß sehr wohl, was ich vor drei Tagen gemacht habe, und ich lasse mich nicht öffentlich von ihm beleidigen!«
    »Du bist eine dumme Gans«, fuhr er mich an.
    Wütend riss ich mich los. »Was ist nur mit dir los, Henri? Ich verstehe nicht, wieso du dich mit dem Herzog abgibst. Er ist ein Intrigant, der nur den eigenen Vorteil sieht und der dich, ohne mit der Wimper zu zucken, verraten würde, wenn es darum geht, die eigene Haut zu retten.«
    »Du hast keine Ahnung, wie es am Hof wirklich zugeht. Glaubst du etwa, der König wird ewig leben? Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis der Sturm losbricht, und wir müssen uns jetzt entscheiden, auf welcher Seite wir stehen werden, wenn es so weit ist.«
    »Warum muss es überhaupt zwei Seiten geben?«
    »Du bist naiv. Am Ende geht es immer um Macht und ich werde sicherstellen, dass wir auf der Siegerseite stehen, wenn alles vorbei ist. Führst du dich aber weiter so auf, kann ich dich nicht retten.«
    »Wovor denn nur?«
    »Du musst dich jetzt entscheiden. Deine Familie oder deine Bekanntschaften.«
    Ich konnte nicht fassen, dass Henri mich tatsächlich vor eine solche Entscheidung stellte und die Machtkämpfe am Hof ihn alles vergessen ließen, was uns verband.
     
    Ich dachte an Chantilly und wie wir dort alle einmal glücklich gewesen waren. Als Henri noch bei uns gelebt hatte und der Louvre mit all seinen Intrigen noch fern gewesen war. Ich dachte auch an Großvaters Standbild vor dem Schloss, wie er über unsere Köpfe hinweg auf den Horizont starrte.
    Und auf einmal wurde ich zornig.
    War ich nicht seine Enkelin und konnte ich nicht genauso mutig sein wie er oder Henri? Wie kam mein Bruder überhaupt dazu, mir solch ein Ultimatum zu stellen? Großvater Anne hätte sich das sicher nie gefallen lassen. Warum sollte ich es also tun? Mein Gefühl sagte mir, dass es falsch war, mich gegen Sophie zu stellen, denn ich erinnerte mich nur zu gut daran, wie sie zu mir gestanden hatte, als sich die feinen Damen ihre Mäuler über mich zerrisen hatten. Sie war trotzdem an meiner Seite geblieben. Und es konnte doch leichter passieren, eine Freundin zu verlieren als einen Bruder. Henri und ich teilten schließlich dasselbe Blut. Wie sollte er sich da von mir lossagen? Vater würde ihn schon wieder zu Verstand bringen und Henri sich beruhigen.
    Meine Entscheidung stand fest, daher sagte ich: »Ich denke, du bist im Irrtum, Henri.«
    Einen Moment sah er mir fest in die Augen, dann trat er einen Schritt zurück. »Es tut mir sehr leid, dass du dich so entschieden hast, Charlotte, aber von nun an kann ich nichts mehr für dich tun. Rechne nicht mit meiner Hilfe.« Abrupt drehte er sich um und ging davon. Wieder einmal sah ich ihm nach, wie so oft in letzter Zeit, doch diesmal fühlte es sich endgültig an.
    Ein ungutes Gefühl packte mich. Was, wenn wir diesen Sieg gar nicht erleben würden? Wer sagte denn, dass wir den Kampf um die Macht auch unbeschadet überstehen würden?
    Auf

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