Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutrote Lilien

Blutrote Lilien

Titel: Blutrote Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Weise
Vom Netzwerk:
konnte keiner von uns benennen.

- 20 -
     
    Die Tage vergingen, aber ich gewöhnte mich nicht daran, dass mich Leute aufsuchten, als wäre ich das Oberhaupt der Familie de Montmorency. Sie trugen mir ihre Anliegen vor, überbrachten weiter Einladungen und baten mich um meine Meinung zu bestimmten Themen. Wenn ich sie an Henri verwies, sahen die meisten zur Seite, als wäre es ihnen unangenehm, mit mir über ihn zu sprechen.
    Inzwischen ließ er sich nicht einmal mehr zu den Abendessen sehen, auch Jeanne blieb dem Appartement fern. Vaters Anwesenheit hatte die beiden gezwungen, den Schein aufrechtzuerhalten, aber seit er abgereist war, gab sich Henri keine Mühe mehr, den Graben zwischen uns zu verringern.
    »Ärgert Euch nicht darüber«, sagte Manon. »In dem Alter neigen alle Männer zu unberechenbarem Verhalten. Im Moment rauscht ihm der Kopf und er glaubt, er muss die ganze Welt aus den Angeln heben, aber das legt sich.« Sie nickte zuversichtlich – doch ich teilte diese Zuversicht nicht.
    Die Nachmittage verbrachte ich oft mit Sophie, die mir neue Bücher mitbrachte, und wenn die Nacht hereinbrach, zündete Manon im Empfangskabinett die Kerzen an und wir stickten, während sie mir den neusten Klatsch aus der Gesindeküche erzählte. Dabei vermied sie es, ernste Sachen zu erzählen, weil sie wusste, dass ich diese Art Klatsch nicht mochte.
    Auf diese Weise erfuhr ich, dass die Comtesse de Moret schon wieder einen Pagen in die Tränen getrieben hatte und Elisabeth endlich einen Mann gefunden hatte. Einen spargeldünnen Engländer, mit dem ihr Vater Geschäfte machen wollte und in den sie sich offenbar trotz des unterschiedlichen Äußeren verliebt hatte. Der Hof amüsierte sich sehr über das ungleiche Paar. Solcherlei Zerstreuung verkürzte die Zeit, in der ich ungeduldig auf Vaters Rückkehr wartete und die Unruhe nie ganz von mir abfiel.
     
    Eines Abends betrat ich nach einem ermüdenden Gespräch mit der Herzogin von Guise das Appartement. Als Dame von hohem Rang und Vertraute der Majestäten hatte sie sich in den Unterrichtsplan der Madame Morens eingemischt, auf dem nun ein ganzes Dutzend neuer Regeln zu finden war, die ich mir aneignen sollte.
    Die Räume lagen ruhig und die Kerzen waren heruntergebrannt. In der Luft hing der Geruch kürzlich erloschenen Feuers. Ich hatte eigentlich erwartet, Manon zu hören oder zu sehen, wie sie ihren Aufgaben nachkam, aber die Räume lagen still. Weder ein Diener noch ein Page huschte durch die Räume. Vielleicht waren sie in der Gesindeküche, um etwas zu essen zu holen, oder kamen anderen Aufgaben nach. Ich sah mich nach Orson um, doch selbst der Hund war nirgends zu sehen. Es war ungewöhnlich, ganz allein zu sein, aber nicht unangenehm.
    Einen Moment stand ich im Dunkeln und lauschte in die Stille, dann entzündete ich die Kerzen. Ein sanftes Licht erhellte die Räume. Auf dem Esstisch hatte Manon bereits Teller und Glas für mein Abendessen bereitgestellt, wie ich nun erkennen konnte. Wahrscheinlich war sie wirklich in der Küche. Henri hatte wohl wieder einmal beschlossen, dem gemeinsamen Abendbrot fernzubleiben, aber an diesem Tag störte es mich nicht. Sein griesgrämiges Gesicht wollte ich nicht sehen.
    Ich beschloss, mir ein Buch aus meiner Kammer zu holen, das Sophie mir geliehen hatte, und damit auf meine Zofe zu warten. Ich öffnete die Tapetentür, hinter der die Treppe zu meinem Schlafgemach lag, aber auch von dort war nichts zu hören. Langsam stieg ich die Stufen empor, denn der Schein der Kerzen beleuchtete die Treppe nur unzureichend.
    Das Buch, das ich suchte, lag auf einem Stuhl neben der Tür. Es war abgegriffen und einige Seiten umgeknickt, als hätte Sophie es schon hundert Mal gelesen, trotzdem roch es noch immer nach Tinte und Pergament. Nachdem ich es aufgehoben hatte, wollte ich mich schon wieder umdrehen, da sah ich im Halbdunkel auf dem Bett eine Gestalt liegen. Erschrocken zuckte ich zusammen, doch dann erkannte ich Manon an ihrem blauen Rock.
    »Mein Gott, hast du mich erschreckt! Was liegst du denn hier im Dunkeln herum? Ist dir nicht gut?«
    Es kam selten vor, dass sich Manon hinlegte, während ich noch wach war, schon gar nicht auf meinem Bett. Vielleicht war ihr übel. Ich trat näher heran. Sie rührte sich nicht. Verwundert stellte ich fest, dass neben ihr eine Schachtel Konfekt lag, deren Inhalt über die Bettdecke verstreut war.
    Mein Herz schien auf einmal meinen Brustkorb sprengen zu wollen, so schnell schlug es.
    Lauf! ,

Weitere Kostenlose Bücher