Blutrote Lilien
betraf.
»Geh schlafen, Charlotte, es war ein langer Tag. Wenn du morgen früh aufstehst, werde ich schon fort sein. Schreib mir, versprich es.«
»Ich verspreche es.«
Vater beugte sich zu mir und küsste mich auf den Scheitel. Ich stand auf und öffnete die Tür, hinter der sich die Treppe zu meinem Zimmer verbarg. Ich war erschöpft – zu viele Dinge gingen mir durch den Kopf – und wollte nur noch ins Bett und mir von Manon eine heiße Schokolade bringen lassen. Müde stieg ich die Treppen empor.
Noch im Morgengrauen reiste Vater ab. Weil ich bereits wach lag und im Dämmerlicht an die Decke starrte, als die Diener begannen, das Gepäck zu verladen, stand ich ebenfalls auf. So konnte ich mich doch noch von ihm verabschieden.
Er beauftragte Manon, gut auf mich aufzupassen. »Sorg dafür, dass sie anständig gekleidet ist. Ich möchte keine Klagen hören. Und du«, wandte er sich an mich, »sei nicht immer so impulsiv.«
Zu meinem Leidwesen stellte er mich unter die Aufsicht von Madame Morens, die Vater durch Briefe von meinen Fortschritten in der Etikette berichten sollte. Diesen Auftrag nahm das Fräulein in den kommenden Tagen zum Anlass, mich bei jeder Gelegenheit, die ihr passend erschien, eifrig zu ermahnen. Was häufig der Fall war.
Am Morgen nach der Verlobung überbrachten die Diener unablässig Geschenke und Glückwunschschreiben, die ich allesamt in einer Ecke des Esszimmers sammelte.
»Ist das zu fassen?«, sagte ich und stand kopfschüttelnd davor. »Man könnte meinen, ich hätte eine Schlacht gewonnen.«
»Nun, gewissermaßen habt Ihr das auch«, erwiderte Manon, die neben mich getreten war. »Euch ist schließlich gelungen, was keiner Frau gelungen ist, Ihr habt einen Sieg über den Prinzen Condé davongetragen.« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, aber ich wusste nicht, was sie daran so erfreulich fand. In die Schlacht gegen Condé zu ziehen, war so ziemlich das Letzte, was ich wollte. Und wenn hier jemand einen Sieg errungen hatte, dann war es der König gewesen und nicht ich. Aber das schien keinen zu interessieren.
Obwohl ich es hoffte, kehrte Vater nicht so schnell zurück, und noch mehr als vorher hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Wohin ich auch ging, nahm ich Orson mit. Wie ein Schatten blieb er an meiner Seite, als würde er meine Unruhe riechen. Immer häufiger verbrachte ich meine Zeit mit Mars an der frischen Luft und begleitete die Falknermeister, wenn sie die Vögel aufsteigen ließen. Wenn mir der kalte Winterwind in die Wangen biss, konnte ich die Enge des Louvre für eine Weile vergessen.
Der König ließ mich weiterhin zu sich rufen. Welche Verwirrung er mit seiner Entscheidung angerichtet hatte, schien er nicht zu bemerken. Ebenso wenig wie meine Unruhe.
»Seid Ihr nun glücklicher, Charlotte?«, fragte er mich eines Tages, als wir in der Bibliothek saßen und einen Imbiss zu uns nahmen.
Die Frage verwirrte mich, denn ich wusste nicht, wie ich sie beantworten sollte. Nachdem ich eine Weile gegrübelt hatte, sagte ich ausweichend: »Ich bin erleichtert über die Lösung von de Bassompierre, Majestät.«
Er schien zu merken, dass ich ihm auswich, aber er hakte nicht nach. Stattdessen sagte er leise: »Der Marquis ist kein schlechter Kerl, Charlotte. Er vereint einige der besten Talente, die ein Mann haben kann, aber eben auch ein paar der Schwächen. Ihr solltet nicht allzu hart über ihn urteilen.«
Bei jedem anderen wäre ich über die leise Ermahnung in dem Gesagten erzürnt gewesen, aber die Art und Weise, wie der König mich ansah, bewog mich dazu, zu nicken. Er hatte etwas an sich, das es schwer machte, ihm einen Wunsch auszuschlagen. Es lag nicht daran, dass er der König war, sondern an seiner Person und der Fähigkeit, in die Herzen seiner Gegenüber zu schauen. Er schien von den Verwicklungen, in die der Mensch geraten konnte, mehr zu verstehen als die meisten anderen.
Das Erstaunlichste in den folgenden Tagen war jedoch Condés Rückkehr ans Fenster.
Eines Abends stand er plötzlich wieder wie ein Schatten auf der gegenüberliegenden Seite, als ich ans Fenster trat. Und danach jeden Abend, der folgte. Ich wusste nicht, was ihn dazu bewogen hatte, aber ich war froh darüber. Wenn ich mit den Fingerspitzen das kalte Glas berührte, spürte ich endlich etwas Ruhe in mich einkehren. Tagsüber sprach er trotzdem nicht mit mir, als sei er sich meiner sicherer hinter Glas. Es kam mir vor, als würden wir beide auf etwas warten, nur worauf,
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