Blutrote Lilien
tönte es in meinem Kopf, aber ich blieb wie angewurzelt stehen. Ein Dutzend Herzschläge vergingen, bis ich mich rühren konnte und näher an das Bett trat.
Noch immer hatte sich Manon nicht bewegt. Ihr Gesicht sah blass aus und lag halb im Schatten. Trotzdem konnte ich sehen, wie Schaum aus ihrem Mundwinkel tropfte. Die Augen waren schreckgeweitet und die Lippen hatten eine bläuliche Färbung angenommen.
Das war nicht mehr meine Manon, die dort lag. Das war eine Fremde, ein Ding, das nicht mehr sprechen konnte. Eine leere Hülle ohne Leben.
Das Konfekt ... blaue Lippen ... Schaum vor dem Mund ... wie die Mäuse in der Getreidekammer, denen Bertha in Sirup und Gift getränktes Brot hinlegt ...
Plötzlich musste ich mich übergeben, meine Eingeweide verkrampften sich und ich klappte zusammen wie eine Marionette, der man die Schnüre zerschnitten hatte. Als nichts mehr in meinem Magen war, wischte ich mir mit dem Ärmel den Mund ab und hockte vor dem Bett.
»Manon ...« Mein Flüstern klang laut in der Stille.
Ich konnte nicht glauben, was ich gesehen hatte.
Manon ... meine Manon ...
Vorsichtig erhob ich mich wieder, aber der Anblick auf dem Bett war noch derselbe. Es war keine Einbildung gewesen. Langsam streckte ich den Arm nach ihr aus, um ihre Wange zu berühren, zu sehen, ob nicht doch noch Leben in ihr war. In dem Moment griff jemand nach mir und legte mir die Hand auf den Mund. Panisch wand ich mich in dem eisernen Griff, bis eine Stimme zischte: »Haltet still, Charlotte, ich bin es, Condé.«
Wie eine Puppe sackte ich in seinen Armen zusammen.
»Kommt!«, forderte er mich auf. »Ihr müsst fort von hier.« Er schob mich Richtung Tür und nahm die Hand von meinem Mund. Aber ich konnte nicht fort.
»Manon ... Sie muss noch leben ... Ich kann nicht ...«
»Es tut mir leid, Charlotte, aber Eurer Zofe ist nicht mehr zu helfen.«
Meine Manon. Meine griesgrämige, mich tröstende Manon.
»Nein, das kann nicht sein. Lasst mich! Wo ist Orson?« Mein Gott, mein Hund. Hatten ihn die Mörder etwa auch getötet? Ich wehrte mich gegen seinen Griff, aber Condé war stärker und zog mich weiter.
»Eurem Hund geht es gut, ich sah ihn mit einem Pagen im Hof. Eure Zofe muss ihn mit dem Hund rausgeschickt haben, bevor ...«
Bevor sie das vergiftete Konfekt gegessen hatte.
Während Condé mich nach draußen schob, schaute ich über die Schulter zurück zum Bett, aber ich konnte nur noch verschwommen sehen. Und das Atmen fiel mir schwer. Meine Lungen fühlten sich an, als wäre ihnen jegliche Luft entzogen worden.
Es konnte nicht sein, was ich da gesehen hatte.
Nicht Manon.
Immer war sie bei mir gewesen. Hatte mit mir gelacht oder mich ermahnt, mich zu beeilen. Ich konnte mir nicht vorstellen, sie nicht mehr um mich zu haben.
Auf einmal dachte ich an die Hunde im Schnee, die sich um die Innereien gebalgt hatten. Deutlich sah ich das Blut vor mir und erinnerte mich an meine Gedanken.
War es das, was damals dort gestanden hatte? Hätte die alte Bertha aus diesen Spuren Manons Tod lesen können?
Das Grauen packte mein Herz. War es meine Schuld, dass Manon nun tot war? Ich hatte die Warnungen nicht ernst genommen. Nicht nur Vater und Henri hatten mir erzählt, dass hinter der schönen Fassade des Louvre schreckliche Dinge lauerten, auch Angoulevent hatte mir gesagt, dass ich mich in Acht nehmen sollte. Aber ich hatte nicht auf sie gehört, weil ich nicht glauben wollte, dass sich die Menschen zu solchen Taten hinreißen ließen, obwohl ich es doch besser wusste.
Wie betäubt ließ ich mich durch die Gänge schieben. Nur am Rande bemerkte ich, dass schmale Tapetentüren geöffnet wurden von Männern und Frauen, die sich durch Zeichen verständigten und die den Prinzen gut zu kennen schienen. Geflüsterte Worte wechselten hin und her und immer tiefer führte mich der Prinz in das Herz des Labyrinths, das der Louvre war.
Wir betraten Gänge, die ich noch nie gesehen hatte, und während mich Condé hinter sich herzog und meine Finger mit seinen verschränkt waren, fragte ich mich auf einmal, was er in meinem Zimmer zu suchen gehabt hatte.
- 21 -
Angoulevent saß auf der Kiste wie auf einem Thron. Im Schein der Fackeln zuckten die Schatten der zwei Dutzend Menschen an den Wänden, die in einem Halbkreis um uns herumstanden. Eine gespannte Stille hatte sich über die Menge gelegt, und mein Atem kam mir laut vor. Immer wieder sah ich das Bild von Manon vor mir, wie sie in meiner Kammer auf dem Bett gelegen
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