Blutrote Schwestern
wäre. Nur dass sie nicht sprechen kann und wir sie nicht erreichen können. Morgen. Ich denke an all die Dinge, die ihr an einem Tag passieren können, und wickele mir einen losen Faden von der Couch um den Finger, bis meine Haut kribbelt.
»Dein Vater wollte dich nicht verletzen. Manchmal will man diejenigen, die man liebt, einfach nur beschützen«, sage ich leise und begegne seinem Blick, der voll Schmerz ist. Ich stehe auf und beginne auf und ab zu laufen.
»Denk nach«, sage ich, während in meinem Kopf die Gedanken nur so rasen. »Du und ich, wir werden zusammen mit mindestens acht von ihnen fertig.« Die Zahl ist hoch gegriffen, aber ich zähle auf den Adrenalinkick, der uns die benötigte Kraft geben wird.
»Das Pfeil-Rudel ist allerdings größer geworden. Es könnten Hunderte sein. Mit so vielen werde ich nicht fertig«, sagt Silas bitter. »Außerdem darf ich nicht gebissen werden, nicht mal leicht verletzt, sonst bin ich nutzlos für dich und Rosie. Ich verstehe das nicht, Scarlett – wie konnten sie überhaupt wissen, dass Rosie und ich …« Seine Worte verlieren sich.
Ich seufze. »Erinnerst du dich noch an das, was der Alpha an der Bowlingbahn gesagt hat? Irgendwas von ›Wir haben, was wir brauchen‹? Da muss er schon gewusst haben, wer du bist und wie sie Rosie benutzen können.«
»Meinst du, sie haben dort nicht versucht, mich zu verwandeln, weil … nicht genügend von ihnen da waren? Du hättest mich beschützen können. Wir hätten gewonnen. Aber jetzt, da der Alpha gegen uns gekämpft hat, kennt er unsere Stärken. Er wird mehr als vorbereitet sein, was die Anzahl an Wölfen angeht. Besonders weil die Mondphase fast vorbei ist. Er wird bestimmt nichts riskieren wollen.« Plötzlich leuchtet eine Spur von Hoffnung in seinem Gesicht auf. »Was, wenn wir uns Schusswaffen besorgen?«
»Die richten höchstwahrscheinlich nicht genug Schaden an, um sie zu töten. Ganz nebenbei können wir uns nicht schnell genug ausreichend Schusswaffen besorgen.« Ich schüttele den Kopf. »Das wird nichts, Silas.«
»Okay, wir haben Zeit bis morgen Nacht. Was könnten wir sonst tun? Und überhaupt, wieso noch einen Tag? Was ist an morgen Nacht so besonders?«
Ich lasse eines von Rosies Messern in der Hand kreisen und werfe es dann wirbelnd auf die Tür. Es schlägt mit einem scharfen Krachen in das Holz, allerdings nicht dort, wo ich hingezielt habe – Rosie kann besser zielen als ich. Wenn sie ihre Messer doch nur dabeihätte … »Es ist das Ende der Mondphase, Silas. Um 23:41 Uhr ist es vorbei. Ich würde alles darauf wetten, dass sie gerade sämtliche Rudelmitglieder zusammenrufen, die sie aufs Land geschickt haben. Sie werden alle Hebel in Bewegung setzen, damit du nicht entkommen kannst. Wir könnten versuchen, früher hinzugehen.«
»Sie könnten sie töten, wenn wir das versuchen«, sagt Silas niedergeschlagen. Er rauft sich die Haare, bis seine Schläfen rot glühen. »Scarlett … wir
müssen
es tun.«
»Was?«
»Mich gegen Rosie eintauschen.«
Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Du willst also deine Seele für meine Schwester hingeben?«
Silas atmet schwer, Schweißperlen auf der Stirn. »Ja. Wir machen es. Lass uns sofort losgehen.« Er stürzt auf die Tür zu.
»Warte, warte.« Ich trete ihm in den Weg, lege ihm beide Hände auf die Brust und drücke ihn auf einen der Esszimmerstühle. Er gegen sie. Silas und Rosie sind ein wesentlicher Bestandteil von allem, was mir wichtig ist. Ich bin nur eine Statistin. Ich sollte diejenige sein, die ausgetauscht wird. Ich sollte diejenige sein, die sie retten kann. Ich schiebe die Eifersucht von mir – dafür ist jetzt keine Zeit.
»Tausch mich ein, Lett. Dann, wenn sie mich … wenn sie mich verwandeln wollen, töte mich …«
»Halt die
Klappe,
Silas«, zische ich. »Sie haben keinen Grund, Rosie gehen zu lassen, selbst wenn sie dich bekommen. Anders gesagt …« Ich schlucke schwer. »Sie werden sie dir höchstwahrscheinlich einfach geben, nachdem du …« Ich kann es nicht aussprechen.
Silas’ Gesicht verliert jegliche Farbe, nur die Augen leuchten strahlend blau vor Frustration und Angst.
Entschlossen presse ich die Lippen zusammen. »Hör zu. Was, wenn wir so tun, als würdest du mitmachen? Du gehst hin, benimmst dich so, als hättest du dich aufgegeben, und dann komme ich … Keine Ahnung. Ich mache was. Irgendwas. Das ist die einzige Chance, die ich sehe, wie wir dicht an sie herankommen, ohne sie zu
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