Blutrote Schwestern
habe?«
»Was? Wo?«
»Wir sind direkt dran vorbeigelaufen, genau vor dem Lebensmittelladen. Ich habe es auf dem Weg in die Stadt erwähnt. Du gehst einfach rein und nimmst Unterrichtsstunden. Sie bieten alles Mögliche an. Ich wette, du bekommst auch noch Schülerrabatt.«
»Aber ich bin keine Schülerin.«
»Du bist jung genug, dass sie es annehmen werden.«
»Und wie soll ich es anstellen, mir Zeit für Tanzstunden zu nehmen, jetzt, da ich das Dessert bin?«
»Ich beginne es wirklich zu bereuen, dass ich diese Metapher verwendet habe«, sagt Silas grinsend. »Lass mich dir mal etwas erklären, Rosie.« Er nimmt einen Schluck Kaffee und presst die Lippen zusammen, als ringe er um Worte. »Ich entstamme einer extrem langen Linie von Waldarbeitern. Meine Brüder sind alle supertalentiert und haben ihre eigenen Räume gebaut. Um Himmels willen, Lukas hat sich einen verdammten hölzernen Badezuber in seinen Raum eingebaut, mit hölzernen Affen, die Wasser speien.«
»Affen?«
»Frag nicht. Jedenfalls, ich kann ein wenig mit Holz umgehen, und ich kenne mich im Wald aus. Ich kann besser mit einer Axt umgehen als die meisten, ich kann einen Baum dazu bringen, dort zu wachsen, wo sonst nichts wächst, ich kann von Beeren leben und mein Essen jagen, und ich wusste von den Fenris, bevor ich krabbeln konnte. Im Grunde genommen bin ich ein Waldarbeiter. Aber das bedeutet nicht, dass ich dafür lebe. Genauso wenig wie die Tatsache, dass du eine gute Jägerin bist, bedeutet, dass du dafür leben musst. Also wird dir eine kleine Pause vom Jägerdasein hier und da helfen festzustellen, ob dieses Leben etwas für dich ist.«
Ich schüttele den Kopf, bin verwirrt, wie er überhaupt denken kann, dass das möglich wäre. »Ich kann nicht einfach nicht jagen, Silas. Klar, ich nehme ein paar Stunden. Aber was ist, wenn ich feststelle, dass ich das Jagen hasse und aufhören will? Das bedeutet noch lange nicht, dass ich das kann. Ich schulde Scarlett mein Leben, und wenn sie diese Schuld eintreiben will, indem ich den Rest meines Lebens zusammen mit ihr jage, dann wird es so sein. Es würde sie umbringen, wenn sie jemals denken würde, ich will aufhören.«
»Rosie.« Seine Stimme klingt ruhig. »Ich schlage nicht vor, dass du deine Schwester wie ein Paar kaputte Socken wegwerfen und stattdessen intensiv Ballett trainieren sollst.«
Ich lehne mich im Separee zurück und verschränke die Arme über der Brust; während ich die Leute beobachte, die draußen vor dem großen Fenster vorbeilaufen.
Unschuldige,
so nennt Scarlett sie manchmal. Leute, die keine Ahnung haben, was wir tun. Welchen Preis wir für sie bezahlen. Welchen Preis meine Schwester für mich bezahlt hat. Ist es denn nicht möglich, dass ich auch noch etwas anderes mache?
Ich schaue zurück auf Silas, der noch mehr Zucker in seinen Kaffee rührt. »Okay. In Ordnung, ein Kurs. Aber nur, weil ich vielleicht keine Chance mehr dazu bekommen werde, wenn wir wieder zurück sind. Und du musst mir versprechen, dass du Scarlett nichts verrätst.«
»Nur, wenn du mich bezahlen lässt«, kontert er.
»Silas«, sage ich drohend.
Er zuckt mit den Schultern. »Du und Lett, ihr seid pleite. Mal ganz nebenbei: Wenn du bezahlst, wird Scarlett merken, dass das Geld fehlt.«
Ich gebe nach. »In Ordnung.«
»Prima. Dann lass uns losgehen, um dich einzuschreiben.« Er steht auf und wirft ein paar zerknüllte Dollarscheine auf den Tisch. Ich bleibe mit offenem Mund sitzen.
»Jetzt?«
»Was du heute kannst besorgen … Ich glaube, ich habe soeben das Projekt Rosie-beginnt-zu-leben zu meiner persönlichen Mission gemacht. Es ist dem Projekt Silas-beginnt-zu-leben zu ähnlich, als dass ich es ignorieren könnte.« Er streckt mir eine Hand entgegen, und ich greife danach, ohne zu überlegen. Mein Herz schlägt schneller, und ich will ihn an mich drücken.
Oh Gott. Was denke ich da nur? Schon ziehe ich die Hand wieder weg und lächele nervös. Silas lächelt geradezu dümmlich. Ist er etwa genauso aufgewühlt wie ich?
Wir gehen die Straße zurück, bis wir zu dem Kulturzentrum kommen. Kein Wunder, dass ich es auf dem Hinweg übersehen habe: Es ist kaum mehr als ein Loch in der Wand, eingerahmt von Starbucks und einem Ein-Dollar-Shop. Silas gibt mir 30 Dollar und wartet draußen, während ich in das stark nach Räucherstäbchen riechende Gebäude gehe.
Das ist falsch. Ich bin eine Jägerin. Geld für irgendeinen Kurs zu verschwenden ist falsch. Ich drücke mich vor meinen Pflichten
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