Blutrote Sehnsucht
erstarben ihm die Worte auf den Lippen. Ann hatte ja recht. Vielleicht hatte er Beatrix Lisse einmal geliebt, doch Ann wusste sehr gut, dass seine Liebe nun ihr gehörte. Er hatte Beatrix noch gern, auch das war Ann bekannt, aber das war alles. Die Leidenschaft für Beatrix hatte er schon lange hinter sich zurückgelassen.
Er zuckte die Schultern. »Während des Lebens muss man für vieles einen Preis bezahlen«, sagte er. »Dass die Liebe zwischen Beatrix und mir verging, war ein solcher Preis. Das ändert aber nichts daran, dass ich auch deine erste Liebe bin, Ann. Und an der Tatsache, dass ich noch den einen oder anderen Preis zu bezahlen habe.«
Mit ungläubiger Miene starrte sie ihn an. Einmal mehr stand sein intensives Schuldbewusstsein zwischen ihnen. Er konnte nicht zugeben, dass er sie liebte, weil er Glück nicht zu verdienen glaubte. Etwas so Tiefsitzendes ließ sich vielleicht nicht heilen, aber sie musste es wenigstens versuchen. »Es ist sehr arrogant von dir, dir an allem Möglichen die Schuld zu geben.«
An seinem Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass sie ihn nicht überzeugt hatte. Er schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht der Einzige, der mir Schuld zuweist.«
»Wer denn noch? Dieser Rubius? Seine Töchter? Ist dir noch nie der Gedanke gekommen, dass sie eigene und vielleicht ganz andere Gründe für ihre Schuldzuweisungen haben könnten, als du glaubst?«
»Sie haben die Schlüssel zum Frieden, deshalb ist jeder, den sie schuldig sprechen, vorrangig für sie«, murmelte er, während sein Blick über die Wände glitt. »Auch wenn ich jetzt natürlich niemals wieder Zugang zu Mirso erlangen werde.«
Das ließ Ann verstummen.
Mit einem Mal war alles völlig klar. Mirso war Stephans Traum gewesen, seine Hoffnung. Und sie hatte ihn dazu gebracht, Kilkenny zu verschonen, und war zu einem Vampir geworden. Auch dies lastete er sich als vermeintliche Schuld an. Sie, Ann, war der Grund, dass ihm der Friede und die Erlösung versagt würden, die ihn, wie er glaubte, von seiner Schuld befreien würden. Nun war Ann es, die von Schuldgefühlen überströmt wurde. So, genau so, musste er sich fühlen, Tag für Tag, sein Leben lang. Ann suchte nach Worten, um ihn vielleicht wieder ein bisschen aufzurichten. »Dann ... dann hast du den größten Preis ja schon bezahlt.« Himmel, wie dumm von ihr! Für den Verlust seines Traumes würde er jeden Tag zahlen, für den Rest seines Lebens.
»Da sind immer noch Rubius’ Töchter, die in Cheddar Gorge warten«, sagte er leise. »Auch sie haben eine Rechnung mit mir offen, die sie beglichen sehen wollen.«
Noch eine. Ann nahm seine Hand und drückte sie an ihre nackte Brust. »Dann geh nicht in das Dorf. Wir könnten doch einfach fortgehen, Stephan. Nach Frankreich oder Amerika, Westindien oder sonst wohin, weit weg von hier. Sie haben keine Herrschaft über dich.«
Er zog sie an sich. »Vielleicht hast du recht. Heute Nacht werde ich aus Maitlands holen, was wir brauchen, und dann können wir überlegen, wohin wir gehen.«
So einfach sollte das sein? Ann lehnte sich zurück und sah ihm prüfend in die Augen. Stephan belog sie. Er suchte nur einen Vorwand, um nach Cheddar Gorge zu gehen und sich mit Rubius’ Töchtern auseinanderzusetzen.
Und in gewisser Weise hatte er recht. Er konnte nicht einfach vor den Töchtern davonlaufen. Sie würden immer weiter nach ihm suchen, um ihn für seine »Verbrechen« zu bestrafen. Ein Leben, bei dem man ständig auf der Hut sein musste, war nur ein halb gelebtes Leben. Aber auch aus einem anderen Grund konnte er nicht einfach fortgehen. Wie er selbst gesagt hatte, waren Rubius und seine Töchter die Richter, die ihn schuldig sprachen. Wenn er dieses Urteil nicht zurückwies oder anfocht, würde er seines Lebens nicht mehr froh werden.
Ann dachte allerdings nicht mal im Traum daran, ihn diesen ... Frauen allein gegenübertreten zu lassen. Zusammen waren sie stärker als allein. Ganz zu schweigen davon, dass sie Stephan liebte. Wann immer sie miteinander schliefen, schien sich ihr Gefühl für ihn noch zu vertiefen. Am liebsten hätte sie ihm jetzt gleich gesagt, dass sie ihn begleiten würde. Da es dazu aber noch zu früh war, biss sie sich auf die Zunge und schwieg. Sie hatten fast noch einen ganzen Tag vor sich, bevor er gehen konnte. Das Beste war, sich ihre Argumente für den richtigen Moment aufzuheben. Dann würde ihm in der Eile so schnell kein Vorwand einfallen, sie nicht mitzunehmen.
»Und womit vertreiben wir
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