Blutrote Sehnsucht
Lächelns erschien um seinen Mund, das seine Augen jedoch nicht erreichte. »Aber im Grunde ist das ja auch nicht Ihre eigene Entscheidung, sondern die Ihres Onkels, nicht?«, fragte er leise. »Ein Mädchen wie Sie ...«
Was bildete der Kerl sich ein? »Ich kann Ihnen versichern, dass ich alt genug bin. Mein Onkel hat kein Recht, in irgendeiner Weise über mich zu ›verfügen‹. Sie müssten meine Zustimmung und nicht die meines Onkels haben, Cousin.«
Mit der Stiefelspitze stieß er gegen eines der Holzscheite. Funken stoben im Kamin auf. »Ach, das glaube ich nicht«, sinnierte er. »Nein, nein, ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sich das Ganze auch ohne deine Zustimmung arrangieren lässt, Cousinchen.« Er stürzte einen Schluck Whisky hinunter und wandte sich ihr wieder zu. Das Funkeln in seinen Augen verschlug ihr den Atem. »Tatsächlich könnte es so sogar weitaus interessanter sein.«
Ann zitterte fast vor Wut, doch ihrer Stimme war davon nichts anzumerken, als sie erklärte: »Dich werde ich niemals heiraten, Cousin.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte sie aus dem Zimmer. Dieser Mann musste unbedingt von ihrem Onkel ferngehalten werden. Sie lief nach oben, wo Mrs. Creevy am Feuer saß und häkelte, während ihr Onkel im Bett las. Ann sagte Alice’ Tante, sie könne gehen, und als die Frau an ihr vorbeiging, fügte sie hinzu: »Bitte sorgen Sie dafür, dass mein Cousin keinen Zutritt zu Lord Brockweir erhält!«
Mrs. Creevys Augen weiteten sich, aber dann nickte sie mit einer schwerfälligen Verbeugung, bevor sie den Raum verließ.
»Was war das denn, meine Liebe?«, fragte Anns Onkel. Seine Augen waren müde. Sie nahm sich zusammen, schluckte und atmete tief ein und wieder aus. Es wäre nicht gut, ihn aufzuregen.
»Komm, lass mich dir etwas vorlesen, Onkel Thaddeus«, erbot sie sich und nahm ihm seine Lektüre aus der Hand. Es war ein Buch mit Predigten. Langweiliges Zeug. Aber was machte das schon? Sie setzte sich in seinen Sessel. Das Gefühl all der unzähligen Male, die er dort gesessen hatte, übertrug sich auf sie. Sie wollte nicht daran denken, was geschehen würde, falls Onkel Thaddeus wirklich starb. Dann würde sie ihren einzigen Freund und Verbündeten verlieren. In der Stadt hielten alle sie für verrückt. Würden sie ihr das Recht zugestehen, Erichs Antrag abzulehnen, wenn jemand dafür verantwortlich sein würde, sie auf Maitlands – oder an einem wesentlich weniger komfortablen Ort – einzusperren und festzuhalten?
Mrs. Creevy kam mit heißer Schokolade für ihren Onkel, der kurz darauf in einen tiefen Schlaf hinüberglitt. Ann überließ ihn Mrs. Creevy und schlich zu ihrem Kinderzimmer hinauf. Sie fühlte sich in ihrem eigenen Haus verfolgt. Polsham kam kurz darauf nach oben und verriegelte die Tür. Sie hatte dem Diener diese ihm sichtlich unangenehme Aufgabe verziehen und sein Gewissen erleichtert, indem sie gesagt hatte, es geschehe ja schließlich nur zu ihrer eigenen Sicherheit.
Sowie die Tür verschlossen war und es still wurde im Haus, schlüpfte sie in den Geheimgang neben dem Kamin und schlich durch das Haus und in den Garten. Heute war es ihr egal, was sie draußen erwartete, ob Monster oder Mob. Sie musste an die frische Luft. Das Haus war ein Gefängnis und ihr Cousin der oberste Gefängniswärter. So schnell sie konnte, lief sie in den Wald hinein und lehnte sich dort keuchend gegen einen ihrer Lieblingsbäume. Die Freude über das Sonnenlicht, die Zufriedenheit über das Wachstum, die Unbekümmertheit, mit der der Baum sein Laub in den Wind warf ... all das drang durch die grobe Rinde unter Anns Händen in sie ein. Solch reine, unverdorbene Gefühle waren Bäumen eigen. Sie beschwichtigten den Tumult, der in ihr tobte.
Als sie ruhiger geworden war, löste sie sich von dem Baum und wanderte tiefer in den Wald hinein, auf dem Weg zu ihrer Höhle. Gestein war sogar noch friedvoller als Bäume.
Erich, wie er genannt zu werden wünschte, wollte ihr Geld, doch er wollte auch sie selbst. Ann wagte nicht einmal, darüber nachzudenken, was geschähe, wenn ein Mann eheliche Rechte von ihr fordern würde, ganz zu schweigen von diesem abscheulichen Erich mit seinen abnormen Neigungen. All diese Berührungen ... und sie würden vermutlich auch noch nackt sein. Nein. Eheliche Beziehungen waren ihr versagt. Den Geschlechtsakt durfte sie nie erleben, nicht einmal mit einem ihr angenehmen Mann, oder es würde ihr Ende sein. Sie würde niemals Kinder haben. Gott
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