Blutrote Sehnsucht
Manchmal dachte er es selbst.
Drei Frauen im Kloster Mirso. Wie er sich dorthin zurücksehnte!
Ann kämpfte gegen den Ansturm der fremden Emotionen an, schob die andere Hand unter Sincais Körper und griff nach dem Streifen Stoff.
Schuld! Unerträgliche Schuld. Schuld am Schicksal der gesamten Welt.
Eine Guillotine. Aufopferung für die Frau, die er liebte.
Blut.
Unerwiderte Liebe. Ganze Lebenszeiten davon. Beatrix.
Krieg. Kämpfe. Indianer? Dschungel. Ich bin ihr Gott.
Gesänge. Jemand, der ihn Dalai Lama nannte. Massaker.
Hoffnung ... Asharti ... Beatrix ...
Immer schneller kamen die Bilder jetzt. Unzählige Erfahrungen stürzten wie ein Wasserfall auf Ann herab, sodass sie kaum noch atmen konnte.
Schiffe.
Hungersnot.
Krieg.
Hass.
Zärtlichkeit.
Mord.
Frauen.
Gewalt.
Stärke.
Lust.
Blut.
Blut.
Immer wieder Blut .
Ann spürte noch, wie sie über Sincai zusammenbrach. Dann war kein Licht mehr um sie, nur noch Schwärze, barmherzige Schwärze ...
Stephan atmete. Er lag nicht in einem Bett. Betten waren weich. Er musste auf dem Boden liegen. Aber wo? Er müsste die Augen öffnen, um zu sehen, wo er war, doch das schien ihm viel zu anstrengend zu sein. Und warum war das so? Oh, Kilkennys Vampire ...
Er hatte getan, was nötig war. Nicht wirklich so, wie es ihm beigebracht worden war. Aber spielte das eine Rolle? Sie verdienten, was sie bekommen hatten. War es wirklich so? Woher wusste er das? Ein Bild von Blut und Knochen, zerschmetterten Köpfen und Gliedern stahl sich in sein Bewusstsein und setzte sich dort fest. Sie verdienten es, weil sie von Asharti erschaffen worden waren und sie böse war. Sie brachen die Regeln. Und wenn er nun mit diesen Bildern in seinem Kopf würde leben müssen, war es nur ein Element seiner Buße mehr. Eines Tages, wenn er die Gelübde abgelegt hatte, konnte er das Bild vielleicht mit Gesängen und Meditation in den Hintergrund drängen, bis es nicht mehr so sehr brannte. Was in dem Jagdhaus geschehen war, war nur ein Gräuel mehr in zweitausend Jahren unzähliger Grausamkeiten.
Nach und nach nahm sein Bewusstsein zu, stieg langsam in ihm an wie eine Flut. Es hatte die ganze Macht seines Gefährten erfordert, die vier zu töten. Das war der Grund, warum die Heilung so viel Zeit in Anspruch nahm. Aber der Schmerz hatte nachgelassen. Er konnte nur nicht atmen. Eine Last lag auf seiner Brust, die ihm die Luft abschnürte.
Vielleicht war es die seines Versagens. Er hatte nicht alle erwischt. Einer war entkommen. Und keiner von ihnen war Callan Kilkenny gewesen. Stephan konnte nicht eher heimkehren, bis er Kilkenny und alle seine Kreaturen getötet hatte. Doch wie sollte er das zustande bringen, wenn er nicht umsetzen konnte, was Rubius’ Töchter ihn gelehrt hatten? Er war noch nicht so weit! Er brauchte Hilfe. Aber es gab niemand anderen. Und Kilkenny baute eine weitere Armee wie Ashartis auf.
Und wessen Schuld war das alles?
Stephan rang nach Atem. Seine. Und die Last dieser Schuld wog schwer auf seiner Brust.
Doch da war tatsächlich ein Gewicht auf seiner Brust – und nicht nur das der Schuld! Er öffnete die Augen.
Grundgütiger! Ein regungsloses Mädchen lag auf ihm! Die junge Frau, von der die Leute glaubten, sie sei verrückt. Ihr langes, weißblondes Haar bedeckte seinen nackten Oberkörper. Sie trug nichts als ein weißes Nachthemd, das klebrig war von Blut wie auch ihr Haar. Sie musste verletzt sein! Hatte er ihr irgendwie wehgetan? Stephan stützte sich auf die Ellbogen und hob sie sanft von seiner Brust.
Dann saß er da und hielt sie im Arm. Winzige Flammen flackerten noch in den überall in der Höhle verteilten Kerzenstummeln. Stephan beugte sich vor und griff nach einer der Kerzen, um die junge Frau auf Verletzungen zu untersuchen. Ihr Gesicht war blutverschmiert, aber er konnte keine Quelle dieses Blutes entdecken. Behutsam strich er ihr das Haar aus dem Gesicht. Wie schön sie war! Wie zart, wie zierlich fühlte sie sich in seinen Armen an. Ihre Gesichtszüge waren zu vollkommen, um von dieser Welt zu sein; sie hatte eine gerade, kleine Nase und eine so durchsichtige und feine Haut, dass er die Adern an ihren Schläfen sehen konnte. Zerbrechlich. Das war der richtige Ausdruck, um sie zu beschreiben. Aber war sie tot? Mit Daumen und Mittelfinger suchte er den Puls an ihrer Kehle. Er flatterte unruhig, doch er war da. Sie lebte.
Stephans Gehirn nahm seine Arbeit wieder auf. Die junge Frau war bewusstlos, aber das Blut an ihr war das seine. Er
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