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Blutrote Sehnsucht

Blutrote Sehnsucht

Titel: Blutrote Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Squires
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nicht der erste Schritt zu wahrem Wahnsinn?
    Ann kniete sich neben Sincai – aber wieder presste sie sich die Hand vor den Mund.
    Du wirst ihn anfassen? , fragte ein Teil von ihr. War das nicht der Weg, der deine Mutter in den Wahnsinn führte? Waren es nicht die ständigen Berührungen eines Mannes, die sie in die Anstalt brachten, wo sie heiser von ihren Schreien vor sich hin vegetierte und sich hin und her wiegte mit Augen, die nichts mehr sahen?
    »Es ist ja nicht so, als würde ich intime Beziehungen mit ihm haben«, flüsterte sie mit halbwegs fester Stimme. Die Höhle warf ihr Geflüster zurück, um ein Vielfaches lauter und mit einem merkwürdig verzerrten Klang. »Und wenn alle Wege in den Wahnsinn führen, kann ich wenigstens vorher noch von Nutzen sein.« Entschlossen warf Ann ihren Umhang ab, griff nach dem Volant ihres langen Nachthemds und riss einen breiten Streifen ab.
    Sein Hals – o Gott, sein Hals musste ihre erste Sorge sein. Und sie konnte ihn nicht einfach nur verbinden. Sie würde die klaffende Wunde irgendwie schließen müssen. Aber wie? Ann sah sie sich genauer an. Vielleicht hatte sie sich geirrt, was den Knochen anging. Gott sei Dank! Sie befeuchtete die Lippen und nahm ein Stück von dem abgerissenen Stoff. Gut. Damit konnte sie Sincais Kopf anheben und dann die Wunde an seiner Kehle verbinden.
    Das Schlimmste war, dass all ihre Bemühungen umsonst sein würden. Er war dem Tod geweiht. Niemand konnte solche Verletzungen überleben.
    Aber das zählte nicht. Wenn sie nicht versuchte, ihm zu helfen, würde sie sich ein für alle Mal eingestehen müssen, dass sie nichts Menschliches mehr an sich hatte, und alles andere in ihrem Leben würde sich aus den Folgen dieses Augenblicks ergeben.
    Ann nahm ein Ende des Stoffstreifens in jede Hand, zog ihn unter Sincais Kopf und bewegte ihn dann hin und her, bis er seinen Hals erreichte. Sie brauchte ihn nicht mal zu berühren. Vorsichtig hob sie den Stoff an beiden Seiten an. Die Halswunde schloss sich. Dann, während sie mit einer Hand die Schlinge unter seinem Kopf hochhielt, faltete sie mit der anderen eine Kompresse und drückte sie vorsichtig auf die Wunde. Dabei vermied sie jeden Hautkontakt. Durch die Kompresse konnte sie Sincai spüren, ein leises Echo nur ... aber von etwas sehr, sehr Eigentümlichem. So etwas hatte sie noch nie zuvor gespürt. Blut durchtränkte allmählich die Kompresse, doch zumindest sprudelte es nicht mehr aus der Wunde heraus. Ann verdrängte den schrecklichen Gedanken, dass vielleicht kaum noch Blut in seinen Adern floss, und band den Stoffstreifen ganz fest um die Kompresse. Dabei beobachtete sie Sincai, um sicherzugehen, dass er noch atmen konnte. Erst als seine Brust sich weiter hob und senkte, wenn auch nur ganz leicht, wandte sie sich seinen anderen Wunden zu.
    Was nun? O Gott. Ihr Magen verkrampfte sich schon wieder. Jetzt musste sie sich um die Bauchverletzung kümmern. Anns Atem ging schnell und flach; krampfhaft versuchte sie, die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken, und zwang sich, die klaffende Wunde genauer zu untersuchen. Was da herausdrang ... das konnten nur Gedärme sein. Was konnte sie dagegen unternehmen?
    Verbinde sie genauso wie die Wunde an seinem Hals! , sagte sie sich streng. Wem sollte hier ein zimperliches Fräulein nutzen? Sie fertigte eine Kompresse an. Diesmal würde sie Sincai berühren müssen, musste sich über ihn beugen und einen Streifen Stoff unter seinem Körper hindurchziehen, um die Kompresse auf der Wunde festzubinden. Wie von irgendwo weit her beobachtete sie, wie sich ihre Hand nach ihm ausstreckte. Fast konnte sie schon die nackte Haut seines Bauches spüren. Sie würde klebrig sein von Blut. Ann wusste sehr genau, was sie erwartete. Eine Flut von Erfahrungen würde sie überschwemmen, sie würde Sincais Substanz, sein Wesen kennenlernen, das Gute und das Schlechte. Aber sie würde weiterarbeiten. Sie konnte es, wenn sie sich konzentrierte. Sie würde die Hand mit dem provisorischen Verband unter ihn schieben, so weit es möglich war, sie dann wieder zurückziehen und das Gleiche auf der anderen Seite wiederholen.
    Wie in einem Traum ging im letzten Moment alles rasend schnell. Ihre Hände verkrampften sich, als sie sie schon zurückzuziehen wollte. Aber es war zu spät. Sie schob den Stoffstreifen von ihrem Nachthemd unter Sincai. Die Haut, die unter seinem zerfetzten Hemd hervorschaute, versengte Ann förmlich.
    Tod! Mord!
    Blut.
    Ein schreckliches Anderssein. Böses?

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