Blutrote Sehnsucht
noch was zu sagen haben.« Aber sehr überzeugt klang Polsham nicht.
»Er ist nur der Gutsverwalter und kommt nicht jeden Tag hierher. Und dieser ... dieser Unmensch meint, da er Miss Anns Cousin und einzig lebender Verwandter außer Lord B. ist ...« Sie brach unglücklich ab.
»Ich werde mit ihm reden«, sagte Polsham grimmig und reichte ihr ein Taschentuch. »Machen Sie sich keine Sorgen, Mrs. Simpson.«
Die Köchin nahm das Tuch dankbar an und putzte sich die Nase. »Wenn ich daran denke ...« Sie begann wieder, so jämmerlich zu schluchzen, dass ihre Stimme ihr den Dienst versagte, »... dass sie aufwacht und niemand bei ihr ist ...«
»Brauchen Sie mich jetzt gerade, oder ...?«
»Nein, gehen Sie!«, sagte sie mit einer ermutigenden Geste ihrer freien Hand, während sie mit der anderen sein Taschentuch an ihren Mund drückte. »Er ist in der Bibliothek.«
Polsham klopfte ihr noch einmal auf die Schulter und verließ die Küche. Stephan verschmolz mit der Dunkelheit und lauschte den sich entfernenden Schritten. Das Gehörte erinnerte ihn an die Gespräche im Wirtshaus. Die Dorfbewohner glaubten, dass dieser Cousin darauf aus war, Miss van Helsing zu heiraten, ungeachtet dessen, dass sie allerseits für verrückt oder für eine Hexe gehalten wurde. Die Dienstboten waren offenbar verstört über jeglichen Gedanken an Veränderungen, aber es war ja nicht so, als könnte dieser Cousin tatsächlich Ärger machen. Außerdem geht mich das sowieso nichts an, sagte Stephan sich und ignorierte das ungute Gefühl in seinem Magen. Gefühle konnte er sich nicht leisten. Der Wind war mittlerweile heftiger geworden und riss an seinem Haar. Vorsichtig schlich er zum Ende des neueren Flügels und sah Licht aus einem Zimmer in den Garten fallen. Die bis zur Decke reichenden Bücherregale waren deutlich sichtbar, als er einen Blick durchs Fenster warf.
Ein etwas korpulenter junger Mann stand mit einem Glas Whisky in der Hand vor dem Kamin und starrte in das Feuer. Seine Gesichtszüge hatten etwas Verlebtes. Die hervortretenden Augen wirkten im Zusammenspiel mit dem schlaffen, feuchten Mund besonders unschön. Gekleidet war er nach der neuesten Mode, fast schon zu sehr à la mode , um seriös zu sein. Die dicken Schulterpolster seines Jacketts, in Verbindung mit seiner Körperfülle und dem viel zu hoch getragenen Halstuch, ließen ihn ziemlich lächerlich erscheinen. Aber er hatte etwas Verdorbenes an sich und einen harten Blick, und das war alles andere als komisch. Stephan konnte keine Ähnlichkeit mit seiner schönen Cousine erkennen. Doch er kannte diese Art von Menschen. Leute wie dieser Van Helsing waren ständig enttäuscht darüber, dass die Welt nicht zu wissen schien, dass sie ihnen schuldete, was immer sie begehrten. Er wäre jede Wette eingegangen, dass es eine ganze Reihe unglücklicher Frauen und gebrochener Männer gab, die auf irgendeinen der Winkelzüge dieses unangenehmen Burschen hereingefallen waren. Dieser Mann war Stephan schon auf den ersten Blick unsympathisch.
Van Helsing stürzte den Whisky herunter, und Stephan konnte sehen, wie seine Hände zitterten. Er schien vor irgendetwas Angst zu haben, denn er schrak sichtlich zusammen, als Polsham anklopfte und eintrat.
»Was gibt’s? Ist das Abendessen aufgetragen?«, fauchte er, als er merkte, dass es nur einer der Dienstboten war.
»Bald, Sir.« Polsham quittierte die Frage mit einer leichten Verneigung, aber sein Rücken war steif vor Entschlossenheit. »Ich wollte Sie sprechen, Sir.«
Van Helsings Augen verengten sich. »Weswegen?«
Polsham zögerte, nahm dann jedoch allen Mut zusammen und fuhr fort: »Wir ... Mrs. Simpson und ich ... wir dachten, dass jemand bei Miss van Helsing sitzen sollte, für den Fall, dass sie erwacht.«
»Oh, dachten Sie das, ja?« Sein Ton war respektlos und herabsetzend. Aber natürlich musste jemand wie er eine böse Ader haben.
»Und wer, dachten Sie, sollte bei ihr sitzen? Ich?«
Polsham räusperte sich. »Nein, Sir. Das wäre unziemlich.«
»Wer dann? Sie? Wie ich hörte, wurde die Küchenhilfe fortgeschickt, und der Diener hat heute Morgen gekündigt.«
Polsham errötete. »Wir könnten ein Mädchen aus dem Dorf ...«
»Soweit ich sehen kann, wäre niemand in einem Umkreis von hundert Meilen bereit hierherzukommen, egal, wie hoch der Lohn wäre, nach dem, was Ann sich gestern in der Gastwirtschaft geleistet hat.«
Dem hatte Polsham nichts entgegenzusetzen. Hilflos blickte er sich um und überlegte, wen er
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