Blutsäufer (German Edition)
beiden Wörter wie ein Mantra: „Schöne
Frau! Schöne Frau! Schöne Frau!“ Wiederholte sie so lange, bis sie einmal mit
den Fingern schnippte.
„Du kommst jetzt mit mir!“, sagte sie. „Komm
mit mir, mein lieber Freund.“
Er lächelte wie ein kleiner Junge, dem man so
viel Schokolade versprochen hatte, wie er essen konnte. Tapsig lief er ihr nach
und gluckste leise. Er schien glücklich zu sein, während er einen Weg nahm, der
in sein Verderben führte.
25
„Hast
du Schmerzen?“, fragte Karla.
Franz stand kalter Schweiß im Gesicht, seine
Haut war aschfahl. „Ich glaube, sie hat mir eben eine Rippe gebrochen. Es tut
weh, wenn ich einatme. Und … und wenn ich ausatme.“
Karla hob den umgestürzten Hocker auf,
stellte ihn an seinen Platz in der Ecke und setzte sich. Mit zwei Fingern betastete
sie ihren Unterkiefer, der an einer Seite stark angeschwollen war. „Die doofe
Arschkuh ist nicht ganz dicht“, sagte sie.
Er ließ ihre Bemerkung unkommentiert. Er
sagte: „Hoffentlich hat sie das Monster wieder eingesperrt.“
Karla zuckte mit den Achseln. „Ich glaube
nicht, dass von dem Ungeheuer heute noch eine Gefahr ausgeht. Aber morgen Nacht.
Für dich.“
„Für mich“, sagte er leise.
„Besser, du verschwindest schleunigst“, fuhr Karla
fort. „Und vergiss nicht, die Polizei zu benachrichtigen. Damit ich endlich von
dieser Kette loskomme.“
Er nickte. Aber er ging nicht. Sein Nicken
war ein automatischer Reflex gewesen. Er hatte noch nicht entschieden, was er
tun wollte, war sich überhaupt unschlüssig, was am besten zu tun war. Wie so
oft.
War denn sicher, dass die Gräfin das Haus
verlassen hatte? Nein, war es nicht. Und selbst wenn. Sie schien über
übernatürliche Fähigkeiten zu verfügen. Vielleicht verfügte jeder Vampir über
solche Fähigkeiten oder Kräfte. Tausende Kilometer von ihr entfernt hätte er
noch Angst vor ihr gehabt. Selbst dann hätte er sich nicht sicher gefühlt. Und
das Schlimme war, dass er sie trotz allem immer noch begehrte. Das konnte er
seinem Körper nicht austreiben. In ihm wohnte ein morbider Trieb. Es zog ihn zu
ihr und gleichzeitig stieß ihn etwas von ihr ab. Wenn er sie sah, wollte er
gleichzeitig zu ihr laufen und vor ihr flüchten. Kein guter Ausgangspunkt für
Entscheidungen.
Außerdem glaubte er nicht, dass die Polizei
mit der Gräfin fertigwerden würde. Niemand würde mit ihr fertigwerden, glaubte
er. Bei den Vampirjägern in den alten Filmen sah es immer so einfach aus, aber es
war keinesfalls einfach. Nicht bei echten Vampiren. Wahrscheinlich musste man
ihr eine Bombe ans Bein binden und zünden, um sie töten zu können.
Doch wenn er zur Polizei ging, konnten sie
immerhin diese Karla befreien. Seines Erachtens war sie bloß im Keller
angekettet worden, weil sie zu viel wusste und aus keinem anderen Grund. Weil
sie ihren Mund nicht halten konnte und dafür sorgen würde, dass die Vampirin
nicht unbehelligt bliebe, wenn sie freikäme.
Vampire leben zurückgezogen und wollen ihre
Ruhe, oder? Sie wollen in der Menschenwelt kein Aufsehen erregen, sondern im
Geheimen ihren blutigen Weg gehen. Soweit es geht, unentdeckt.
Sie wollen nicht, dass wir Menschen an ihre
Existenz glauben, dachte er. Und wer sie jemals als das erkennt, was sie sind,
muss sterben.
Karla muss sterben! Die Gräfin würde sie
nicht am Leben lassen. Und ich. Ich muss sowieso sterben.
„Du hast Angst, was?“, fragte Karla in seine
Gedanken hinein.
Er nickte wieder.
„Was machst du eigentlich sonst so, wenn du …?“
Sie ließ die Frage halb ausgesprochen im Raum stehen.
… wenn du nicht nackt im Haus einer Vampirin
herumläufst und als Blutopfer vorgesehen bist , hatte sie vielleicht sagen wollen.
Franz sah sie an. „Du meinst, in meinem eigentlichen
Leben?“
„Ja“, sagte sie.
Ja, was machte er eigentlich, was hatte er
eigentlich gemacht, bevor er in dieser Bar auf die Gräfin gestoßen war? Sein
früheres Leben schien ihm Jahrzehnte entfernt. Hatte er vorher überhaupt
existiert? Oder war er lediglich Teil der dahinsiechenden Masse gewesen? Einer
Masse, die sich mit Alkohol und allerlei Zerstreuungen vom wahren Leben
ablenkte?
Überhaupt: ein wahres Leben , gab es
das denn noch für den heutigen Menschen? War der moderne Mensch nicht lediglich
eine Karikatur des Naturmenschen mit seinen seltsamen Angewohnheiten, beinahe
völlig abgetrennt von der Natur, so wie ein von einem Körper abgeschlagenes Bein,
das aber immer noch irgendwo herumlag und
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