Blutsäufer (German Edition)
in den Keller.
27
Der
weibliche Ninja schien das erste Mal die Fassung zu verlieren. “Was ist das
denn?“
Franz folgte mit den Augen dem über den Boden
wandernden Lichtkegel. Immer, wenn er auf eine der merkwürdig zu einem Knäuel
zusammengeschobenen Leichen traf, kam der Lichtkegel eine Weile zum Stillstand.
Ehe die Frau den ganzen Raum ausgeleuchtet hatte, vergingen gute fünf Minuten.
„Mein Gott!“, sagte sie schließlich. „Das
habe ich nicht erwartet. Dass es so schlimm … Und wie es hier riecht!“ Sie zog
die Maske unter der Kapuze noch ein Stück höher.
Der Lichtstrahl der Taschenlampe wanderte
nach oben, erfasste ihn, seinen erschrockenen Gesichtsausdruck. Erschrocken war
er aber nicht der Leichen wegen.
Der Monstermann, wo ist er? Lauert er in
einer dunklen Ecke außerhalb dieses Raums?
„Wo ist das Weib, das all das zu verantworten
hat?“
Franz antwortete nicht auf die Frage. Stattdessen
sagte er: „Mircea, er ist nicht mehr hier.“
„Wer ist Mircea?“
„Der … der Komplize .“
Der Komplize schien sie nicht zu
bekümmern. „Du hast behauptet, dass dieses Weib Punkt Mitternacht hier sein
würde. Jetzt ist es Mitternacht, und sie ist nicht da. Kannst du mir das
erklären?“
Franz wollte gerade die Schultern heben, als
er ein Flackern unterhalb der Decke an der Außenwand bemerkte. Dort eingelassen
war ein schmales, dreckverkrustetes, fast blindes Fenster, mehr eine in die
Breite gezogene Luke denn ein Fenster.
Hinter diesem Fenster, dem einzigen im ganzen
Keller, schien es zu lodern, zu brennen.
Draußen macht jemand ein kleines Feuer,
dachte er.
Franz zeigte auf das Fenster. Sie folgte der
Bewegung seiner Hand. „Lass uns nach hinten in den Garten gehen“, sagte er.
„Gibt es in diesem Haus einen Hinterausgang?“
„Ja, aber der ist abgeschlossen.“
„Dann gehen wir vorn raus. Komm!“
„Warte“, rief er der Frau auf dem Gang zu;
sie war schon zwei Schritte vor ihm, sie war schnell. „Kannst du mit deinem
Schwert eine Kette durchschlagen?“
„Hab’s noch nie probiert, aber … glaub schon.
Warum?“
Franz führte sie in den Kellerraum mit dem
Stachelstuhl, in dem Karla die vergangenen Wochen gefangen gehalten worden war.
Mit der Betonung auf war .
In dem Raum war keine Menschenseele.
Nicht mal Karla.
Das herabhängende Ende der Kette mit dem
Armreif lag auf dem Hocker, der Nachttopf war darunter geschoben und mit seinen
Beinen verkeilt. Die Ninja-Frau hielt ihre Taschenlampe in die Richtung. „Warum
soll ich diese Kette durchschlagen?“, fragte sie ihn.
„Die Gräfin war hier. Sie hat Karla
anscheinend mitgenommen. Bestimmt sind sie beide … alle drei … hinter dem
Haus.“
„Wer ist …? Egal!“
Er konnte der schwarzen Gestalt kaum folgen.
Sie raste die Treppe hinauf, durchquerte im Eiltempo die Diele und war schon
durch die aufgebrochene Vordertür nach draußen gelangt, als er noch mit den
letzten Stufen kämpfte. Er fühlte sich mit einem Mal furchtbar erschöpft. Die verbleibenden
Stufen ging er nicht, er überwand sie wie den Gipfel eines allzu hohen Berges.
Als er es endlich geschafft hatte und vor dem
Haus stand, füllte er seine Lungen mit frischer Luft und drehte seinen Kopf
links und rechts ins Dunkel, ehe er auf den Rasen trat.
Im Gras lagen wahllos hingeworfene
Kleidungsstücke. Die Ninja-Frau hob eine weiße Unterhose auf. Der Lichtkegel
ihrer Taschenlampe blieb auf einer schwarzen Lederjacke hängen. Polizei prangte groß und breit auf dem Rücken der Jacke.
Franz spürte den Nachtwind, der kühl über seine
nackte Haut wehte. Kurzentschlossen zog er die Jacke über. Er suchte nach der
Hose. Er fand eine einzelne Socke.
Die Ninja-Frau schlich derweil, als wollte
sie Sho Kosugi imitieren, seitlich am Haus entlang, näherte sich dem Garten an
der Grenze zum Wald. Das Schwert hielt sie wieder beidhändig. Sie warf keinen
Blick zurück. Sie schien ihn vergessen zu haben oder …
Sie braucht dich nicht mehr, dachte er. Oder
sie hat erkannt, dass du unwichtig bist. Ein Opfer, kein Täter. Opfer sind
uninteressant. Opfer werden schnell vergessen. Opfer sind gesichtslos.
Franz setzte sich auf den Rasen und direkt auf
einen Schuh. Er zog ihn umständlich unter einer Gesäßbacke hervor. Wo hatte er
jetzt seine Taschenlampe mit den altersschwachen Batterien gelassen?
Er betastete den Schuh in der Dunkelheit. Es
war ein linker Schuh. Er zog ihn über seinen linken Fuß. Er passte. Nur schade,
dass er den dazugehörigen
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