Blutsäufer (German Edition)
rechten Schuh nicht finden konnte. Vielleicht lag er
in einem Gebüsch. Vielleicht lag er hinter dem Haus. Doch hinter das Haus
wollte er nicht mehr. Das hatte er sich eben überlegt.
Dunkel lag die Straße vor ihm.
Er behielt die Jacke und den Schuh an und lief
sie ein Stück hinunter. Er humpelte, weil sein rechtes Bein ohne Schuh nun
kürzer war.
Wohin würde die Straße ihn führen?
Na, wohin schon, dachte er, fort von hier
wird sie dich führen, fort von allem, in die Freiheit führt sie dich.
In die Freiheit.
Er musste lachen, er prustete.
Freiheit.
So ein lustiges Wort.
Er nahm seinen Weg in einer Jacke und einem
einzelnen Schuh.
Ein Mann auf dem Weg nach Hause, der sich
halbtot lachte.
In die Freiheit …
28
Magdalena
bereute ihren kleinen Ausflug allmählich. Es wurde ihr zu heiß, zu gefährlich.
Und in dem Keller war ihr schlecht geworden. Ohne die Maske, die die Gerüche einigermaßen
filterte, hätte sie sich bestimmt übergeben müssen. Die Maske und der kleine,
nackte Scheißer, vor dem sie sich keine Blöße geben wollte, hatten es
verhindert.
In was war sie da hineingeraten? Sie hatte
geglaubt, es lediglich mit einer einzelnen Frau zu tun zu haben. Mit einzelnen
Frauen hatte sie noch nie Probleme gehabt. Einzelnen Frauen im Dojo hatte sie
ihren Tsuki gegen die Birne gehauen – und fertig! Doch wenn der kleine Scheißer
recht hatte, gab es einen männlichen Komplizen. Jemanden, der wirklich was
drauf hatte.
Sie zweifelte nicht daran, dass dieser Komplize
gefährlich war. Er schien schließlich auch die Leichen mit den abgetrennten
Gliedmaßen zu verantworten zu haben. Musste ein Wahnsinniger sein, der seine
Taten im Blutrausch beging.
Unwillkürlich dachte sie wieder an den Abend
zurück, an dem sie den Hinterhof der Kampfkunstschule betreten hatte. Sie hatte
gehört, wie die Mülltonne zufiel, und dann einen Schatten gesehen, der über
eine zwei Meter hohe Mauer sprang. Und außer ihr und dem Schatten war niemand
auf dem Hinterhof gewesen. Der Schatten, der die Frau war, auf die sie jeden
Moment treffen musste, schien unglaublich schnell und über die Maßen gewandt zu
sein.
Schneller und gewandter als die Frauen im
Dojo allemal.
Logisch, sie hat immerhin André, ihren
geliebten Meister, getötet.
Dazu war kaum ein Mann in der Lage. Sie
kannte jedenfalls keinen.
Magdalena schluckte.
Ja, die Frau war wahrscheinlich genauso
gefährlich wie ihr wahnsinniger Komplize, wenn nicht sogar um einiges
gefährlicher.
Aber ich habe ein Schwert, dachte sie, keine
Schwertnachbildung zur Zierde, sondern ein verdammt scharfes echtes Schwert.
Sie stand jetzt an der Ecke des Hauses zum hinteren
Garten. Oder was man so Garten nennen mochte. Ähnelte eher einer verdorrten,
zertretenen Wiese als einem Garten. Einer verdorrten, zertretenen Wiese, in die
jemand Fackeln gesteckt und angezündet hatte. Die Fackeln waren halbkreisförmig
angeordnet und endeten an der Grenze zum Wald, eine seltsame Konstruktion
einschließend.
Vor zwei Bäumen hatte jemand Pfähle in den
Boden eingelassen. Im oberen Drittel waren die Pfähle durch einen Querbalken
miteinander verbunden. An dem Querbalken selbst hing ein Mann. Von der Ecke
aus, an der sie stand, konnte Magdalena nicht sehen, ob der Mann am Leben war.
Er wirkte leblos, aber das taten Ohnmächtige schließlich auch.
Sein Kopf war auf die rechte Schulter
gefallen, sein Körper entblößt, seine Beine gespreizt und rechts und links an
die Pfähle gebunden.
All das konnte sie dank der lodernden Fackeln
sehen.
Und noch mehr.
In der Mitte des Halbkreises, in einem thronartigen
hohen Stuhl, saß ein Mann. Magdalena sah ihn lediglich von hinten, die
Rückseite des Kopfes und den Hals, weil Kopf und Hals über die Lehne
hinausragten.
War das der Komplize ?
Und wo war die Abspritzermörderin?
Wo?
Zwischen den beiden Männern, aber näher dem
Mann an den Pfählen, hockte eine pummlige kleine Frau mit einer Trommel im
Schoß. Sie hatte die Hände an die Seiten der Trommel gelegt, wirkte
teilnahmslos und apathisch.
Kaum vorstellbar, dass es sich bei ihr um die
berüchtigte Abspritzermörderin handeln sollte. Nach dem, wie sie ihr von Peter
geschildert worden war – er hatte ihre äußere Erscheinung nicht detailliert
geschildert, sondern in groben Zügen –, stellte sie sich die Frau schlank und durchtrainiert
vor. Die Kleine mit der Trommel dagegen war beides nicht, weder schlank noch durchtrainiert.
Und statt enger schwarzer Kleidung trug sie Blue
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