Blutsauger
konstatierte Häberle, »könnte sich jeder dieser Adresse und des Briefkastens bedienen. Wie lange steht das Objekt denn schon leer?«
»Fast fünf Jahre. Ich hab es zu einem Zeitpunkt gekauft, als die Immobilienpreise im Wallis ein Ansteigen erwarten ließen.« Er zuckte mit den Schultern. »Für manches braucht man einen langen Atem – so sagt man doch in Deutschland, oder?« Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Auch dem Dr. Brugger hab ich empfohlen, einen langen Atem zu haben, um später einmal richtig gut zu verdienen.«
»Warum vermieten Sie es nicht?«
»Das habe ich versucht. Aber die Kosten für Verwalter und Hausmeister übersteigen die Einnahmen. Drei-, viermal hab ich’s trotzdem vermietet. In der Wintersaison für Skifahrer.«
Häberle spürte, dass sich eine neue Entwicklung anbahnte. »Sie haben vorhin gesagt, dass Sie mir keine Namen von Kunden nennen oder bestätigen wollen«, begann er seinen Vorstoß vorsichtig. »Aber kurzfristige Mieter einer Ferienwohnung sind ja wohl keine potenziellen Käufer. Könnte es sein, dass Herr Brugger es war, der die Ferienwohnung angemietet hat – für einen Skiausflug mit seinen Kollegen?«
Fernandez zögerte. Er wollte etwas sagen, sah jedoch im Augenwinkel die Dogge auf die Terrasse kommen.
Häberle musterte den hochbeinigen Hund und überlegte, ob er ihn für graziös oder gemeingefährlich halten sollte.
Max Frenzel hatte sich von dem Schock nur mühsam erholt. Nachdem Linkohr mit dem Katzengewand gegangen war, hatte der kreidebleich gewordene junge Mann ein paar wenige Worte mit dem Leiter des Naturschutzzentrums gewechselt, um danach wieder in seine Räume ins Untergeschoss zu gehen. Er fühlte sich erleichtert, als er die Tür hinter sich zuzog und er sich auf den einzigen gepolsterten Stuhl setzen konnte, den es in dem Raum gab. Er schloss für einen Moment die Augen und versuchte, das Geschehen der vergangenen Minuten auf sich wirken zu lassen – vor allem aber, die Folgen durchzuspielen. Wenn sie jetzt das Katzengewand gefunden hatten, würde es nicht mehr lange dauern, bis er ins Fadenkreuz der Ermittler geriet. Oder war er es nicht längst? Die Fragen des jungen Kriminalisten ließen dies befürchten. Sie hatten sich Gedanken über seine verlorenen Schlüssel gemacht und offenbar Zweifel am Diebstahl seines Autos. Außerdem war die Sache mit der dubiosen Kühlbox bekannt geworden.
Frenzel sog die feuchtwarme Luft in sich hinein, die von der Klimatisierung der Terrarien ausging, und fühlte sich schlecht. Am liebsten wäre er in die Kälte der aufkommenden Nacht hinausgerannt, weit fort, irgendwohin, durch die weiße Wüste der winterlichen Alblandschaft.
Doch er hatte sich vorgenommen, den Abend hier mit sich allein zu verbringen. Wohnhaupt war nach dem Gespräch gleich gegangen und hatte die Eingangstür geschlossen.
Während der junge Mann einige Käferlarven beobachtete, die sich in einem der Terrarien mühevoll durch feines Erdreich wühlten, musste er an Lena denken. Seine Kontakte zu ihr waren natürlich ein weiterer Punkt, der die Ermittler stutzig machen würde. Er spürte, wie sein Pulsschlag schneller wurde. Sie mussten den Eindruck gewinnen, dass er im Mittelpunkt des ganzen Geschehens stand, hämmerte ihm eine innere Stimme ins Gehirn. Hatte er denn für Samstagnacht ein Alibi? Hatten sie längst geprüft und festgestellt, dass er unstetig umhergeirrt war? Dass es die Freunde, die er genannt hatte, zwar gab, sie ihm aber kein exaktes zeitliches Alibi geben konnten?
Frenzel vermochte keinen klaren Gedanken zu fassen. Ein böses Gefühl überkam ihn: War er nicht das schwächste Glied in dieser Geschichte? Alle anderen konnten mit Doktorentiteln glänzen oder zumindest mit einem Partner, der als ehrenwerter Mediziner galt. Sie würden sich teure Anwälte leisten können und ihre Beziehungen spielen lassen. Wenn’s dumm lief, geriet er zwischen alle Stühle. Doch welches Motiv würden sie für ihn finden? Sein Denkapparat schien zu rotieren. Frustration, wie sie in diesen Zeiten oft für Erklärungen herhalten musste? Frustration über ein marodes Staatsgebilde, über ein krankes Gesundheitswesen? Rache? Längst zeichnete sich ab, dass es für einen Allgemeinmediziner, wie er es einmal werden wollte, in Deutschland keine Zukunft mehr gab. Zumindest nicht mit diesem Gesundheitsfonds, der völlig an den Bedürfnissen einer Hausarztpraxis vorbeiging. Die Zeiten, in denen Allgemeinmediziner angeblich in Saus und
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