Blutsauger
noch von ihr?«
»Ziemlich aufgetakelt sei sie gewesen«, berichtete Moschin aus seinem kurzen Gespräch mit Salbaisi und Schwester Brigitte. »Als Katze verkleidet, vom Fasching wohl. Aber heut Nacht sind eh nur Verrückte unterwegs gewesen.«
Stuhler wollte weitergehen, während Moschin zögerte. »Und da war noch etwas.« Er wartete, bis der Chef sich wieder ihm zuwandte. »Sie hat nach mir gefragt.«
»Nach Ihnen?«
»Ja, so sagt es Schwester Brigitte. Sie soll behauptet haben, ich würde sie kennen.«
»Ach?« Stuhler hob eine Augenbraue. »Sie kennen? Aber das stimmt wohl nicht?«
»Mir ist der Name, den mir Schwester Brigitte genannt hat, überhaupt kein Begriff. Ich kann mich auch an keine Patientin dieses Namens entsinnen.«
Stuhlers Gesicht deutete jenes ironisch-hintergründige Lächeln an, mit dem er sein Gegenüber in nahezu allen Situationen zu überzeugen wusste. »Und jetzt frag ich Sie allen Ernstes, Herr Kollege: Sollten wir wirklich die Polizei außen vor lassen?«
»Nein, eher nicht. Wahrscheinlich haben Sie recht.«
Watzlaff sah nachdenklich in den tristen Februartag hinaus – wie in den Monitor eines Fernsehgerätes, dem man die Farbe weggedreht hatte. Über die Dächer der umliegenden Gebäude hinweg waren die steil aufragenden Hänge der Schwäbischen Alb nur schemenhaft im Nebel zu erkennen. Kein guter Tag für die Faschingsumzüge, die an diesem Sonntag stattfanden. Der größte weit und breit würde sich durchs gerade mal 15 Kilometer entfernte Städtchen Donzdorf schlängeln, das sich selbst als Faschingshochburg pries.
Ein völlig unwichtiger Gedanke, ärgerte sich Watzlaff. Er hatte sich während des Telefongesprächs Notizen gemacht und es mit ein paar kurzen Dankesworten beendet. Endlich ein brauchbarer Hinweis. Denn was ihm gerade mitgeteilt worden war, konnte ein erster Ansatzpunkt für die Ermittlungen zur Unfallflucht sein. Ein junger Mann aus Türkheim, einem ländlichen Stadtbezirk auf der Alb, hatte den Diebstahl seines Ford Fiestas gemeldet, den er gestern Abend vor seiner Wohnung an der Durchfahrtsstraße abgestellt habe, ehe er mit Freunden zu einer Faschingsveranstaltung gefahren sei. Bei der Rückkehr nach durchzechter Nacht sei ihm das Fehlen des Autos zunächst nicht aufgefallen. Aber nun stelle er fest, dass es nicht mehr auf dem angestammten Platz stehe. Und natürlich sei das Auto abgeschlossen gewesen.
Watzlaff hatte den Namen notiert: Max Frenzel, 24 Jahre alt, Student. Sein blauer Fiesta hatte bereits über 100.000 Kilometer auf dem Buckel und war acht Jahre alt. Nicht unbedingt ein Objekt der Begierde für internationale Autoschieberbanden, dachte Watzlaff. Solche Fahrzeuge wurden allenfalls gestohlen, um sie für Straftaten zu nutzen. Meist tauchten sie wenig später an abgelegenen Stellen wieder auf.
Seine innere Stimme mahnte ihn, jetzt bloß nicht gleich einen Zusammenhang mit der Unfallflucht zu konstruieren. Doch ganz wollte er diesen Gedanken nicht verwerfen. Er veranlasste zunächst die routinemäßige Fahndung, unterrichtete daraufhin die drei Unfallflucht-Ermittler. Es kam schließlich in dem ländlichen Revierbezirk äußerst selten vor, dass innerhalb eines engen Umkreises eine schwere Unfallflucht und der Diebstahl eines Autos zeitlich zusammenfielen. Watzlaff entschied, schon mal vorsorglich den sonntäglichen Bereitschaftsdienstler im Nebenhaus zu verständigen – den Kollegen der Kriminalpolizei. Dies war heute der Leiter der Kriminal-Außenstelle höchstpersönlich: Rudolf Schmittke, der große Blonde mit der kühlen Distanz eines sachlichen Beobachters.
Watzlaff schüttelte ihm die Hand, zog den Besucherstuhl an dessen Schreibtisch und ließ sich nieder. »Bei euch ist’s ziemlich ruhig, stell ich fest – und uns drüben haben sie zum Narrenhaus gemacht«, begann er leutselig. Alles, was vergangene Nacht Einsätze erfordert hatte, war von den Uniformierten erledigt worden. Watzlaff, der sich wie ein Fels in der Brandung vor seine Mannschaft stellen konnte, nahm jede Gelegenheit wahr, auf die große Verantwortung hinzuweisen, die auf den Beamten im Streifendienst lastete: Sie mussten zu jeder Tages- und Nachtzeit sekundenschnell die richtige Entscheidung treffen – bei Ehestreit, bei besoffenen Schlägern auf der Straße, Drogensüchtigen oder bei simplen Ruhestörungen. Immer waren sie es, die als Erste und an vorderster Front mit einem außergewöhnlichen Ereignis konfrontiert wurden. Bis bei einem Verbrechen die Herren
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