Blutsauger
mal, was machte sie sich jetzt Gedanken darüber!, ärgerte sie sich und ging in ihrem kurzen Nachtkleidchen in die Küche, um sich einen Kaffee zuzubereiten. Hunger verspürte sie keinen. Ganz im Gegenteil: Das flaue Gefühl im Magen drohte in eine Übelkeit auszuufern. Sie nahm eine Paracetamol gegen den Kater – wohl wissend, dass sie damit ihrer Übelkeit kaum beikommen konnte.
Über was sie alles nachdachte! Es würde ohnehin alles ganz anders werden. Sie versuchte, sich diesem Gefühl der Freiheit hinzugeben, das sie im Kreise ihrer gleichgesinnten Freundinnen beschlichen hatte. Es gab Wichtigeres und Spannenderes als den eigenen Ehemann, der sich möglicherweise bereits für Jüngere interessierte und nur ein gemütliches Rückzugsgebiet benötigte, von dem aus er neue Beutezüge starten konnte.
Die Mittvierzigerin war bereits wieder in Gedanken versunken, als die Kaffeemaschine mit einem brodelnden Geräusch signalisierte, dass die Wassermenge den Filter durchlaufen hatte. Brunhilde Brugger warf das schulterlange blonde Haar nach hinten, setzte sich auf einen Barhocker und stellte die Tasse auf die Theke, mit der Küche und Esszimmer getrennt waren. Das heiße Getränk wärmte sie innerlich, verursachte ihr aber augenblicklich Magenkrämpfe. Nach zwei, drei Minuten, während derer sie versuchte, sich alle Details der vergangenen Nacht in Erinnerung zu rufen – vor allem die Frage, wie ihre Freundinnen heimgekommen waren, fiel ihr schlagartig die Liste ein, mit der sie gestern begonnen hatte. Sie stieg vom Hocker und holte das Papierstück aus einem Küchenschubfach, wo sie es sorgfältig unter einem Schnellkochtopf deponiert hatte. Es gab viel zu tun, solange Elmar weg war – sehr viel sogar. Obwohl gerade Semesterferien waren, hätte sie in der Uni einiges zu erledigen gehabt, aber sie hatte beschlossen, eine Auszeit zu nehmen. Zumindest über den Aschermittwoch hinweg bis zum Donnerstag. Während sie ihre handgeschriebene Liste überflog, fiel ihr wieder der Aschermittwoch ein – und eine innere Stimme, die ihr plötzlich einen völlig unsinnigen Satz einhämmerte: Hoffentlich gibt’s keine Katerstimmung.
17
Der plötzliche Tod von Anja Kastel, die nur 42 Jahre alt geworden war, schien die Klinik an diesem Sonntagvormittag zu lähmen – dies umso mehr, als auch Dr. Johannes Fallheimer mit lebensgefährlichen Verletzungen auf der Intensivstation lag. Wilde Gerüchte machten bereits die Runde, wonach das Zusammentreffen dieser beiden nächtlichen Ereignisse kein Zufall sein könne.
Doch der medizinische Direktor, Dr. Alexander Stuhler, hielt sich im Gespräch mit seinem Oberarzt Moschin von derlei Mutmaßungen fern. Es gebe keinerlei Hinweise, dass das eine mit dem anderen etwas zu tun habe, betonte er – und hoffte, dass er Recht behalten würde. Er wechselte danach ein paar Worte mit Schwester Brigitte, ließ sich das Datenblatt der adligen Patientin geben und erkundigte sich intensiv nach dem Aussehen dieser Frau.
Salbaisi, der nach diesem ungewöhnlich langen Nachtdienst seinen Arztkittel auszog, antwortete erschöpft: »Sie ist schwer zu beschreiben. Sie wissen, es ist Fasching. Wir hatten heut Nacht allerlei seltsame Gestalten hier.« Er grinste.
Brigitte, die sich ebenfalls aufs Dienstende vorbereitete, mischte sich ein: »Als Katze war sie verkleidet. Und sehr geschwätzig, das kann ich Ihnen sagen.« Sie warf Salbaisi einen kurzen Blick zu, den dieser wohl nicht zur Kenntnis nahm. Dafür hatte es Moschin bemerkt, der seitlich hinterm Chef stand und die Hände tief in den Taschen seines Arztkittels vergrub.
»Geschwätzig«, griff er die Äußerung Brigittes auf. »Das scheint mir in der Tat so zu sein, wenn sie behauptet hat, mich zu kennen.«
Stuhler sah auf das Datenblatt, um den registrierten Namen zu suchen. »Sie nannte sich Marion von Willersbach.« Er musterte den Kollegen. »Aber Sie sagen ja, Sie kennen keine Dame dieses Namens.«
»So ist es«, gab Moschin zurück. »Außerdem – das wissen wir alle gut genug – ist es oft so, dass wir natürlich von den Patienten noch nach Jahren erkannt werden, während wir uns umgekehrt eher schwertun. Das geht Ihnen sicher nicht anders, Herr Dr. Stuhler.« Und er fügte vorsichtig lächelnd hinzu: »Oft hinterlässt ein Doktor gerade bei Patientinnen einen nachhaltigen Eindruck.«
Stuhler hielt diese Bemerkung für völlig unangebracht und ignorierte sie. »Ich denke, wir überlassen die weiteren Spekulationen dem
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