Blutsauger
würde sie dies bis in die Tiefen ihrer Seele hinein kränken. Obwohl es sie, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich kaltlassen müsste. Denn inzwischen hatte sie einen Punkt erreicht, von dem aus es kein Zurück mehr geben würde. Ihre Entscheidung stand fest – und bei allem, was inzwischen geschehen war, befand sie sich längst in einer Einbahnstraße, aus der sie nicht einmal als Geisterfahrerin würde zurückkehren können. Nachdem der Tod eines Kollegen ihres Mannes an diesem Montag durch die Presse ging und in den lokalen Radionachrichten mehrfach erwähnt worden war, hatte sie sich durchgerungen, sich mit Sigrid in Verbindung zu setzen. Sigrid Fallheimer kannte sie aus der Zeit, als deren Ehe noch intakt war. Sigrid war damals in Begleitung von Fallheimer zu irgendwelchen Klinikfesten gekommen. Sie traf Sigrid an diesem Montagmittag in ihrer kleinen Wohnung in Ulm. Die Frau, eine zierliche Blondine, wirkte gefasst und offenbar vom Tod ihres Exmannes Johannes kaum beeindruckt.
»Entschuldige, wenn ich dich in dieser Situation störe«, begann Brunhilde Brugger. »Aber nachdem ich in der Zeitung gelesen habe, was mit Johannes geschehen ist, war ich schockiert – auch wenn wir uns längere Zeit nicht gesehen haben.«
»Schon gut«, sagte Sigrid. »Ich finde es ja schön von dir, dass du dich nach mir erkundigst. Ich hab versucht, unsere Tochter Lena auf Gran Canaria anzurufen, aber sie ist nicht erreichbar. Ansonsten hat Johannes keine direkten Angehörigen. Ich werde mich wohl in irgendeiner Weise um alles kümmern müssen.«
»Ja – um alles kümmern müssen«, seufzte Brunhilde Brugger. »Dabei weiß ich nicht einmal so genau, was die Männer miteinander getan haben.«
Sigrid nickte und schwieg.
»Wenn er dir genauso wenig erzählt hat, wie Elmar es mir gegenüber tut«, fuhr Brunhilde fort, »dann wirst du dich schwertun, es herauszufinden.«
»Du hast auch keine Ahnung? Ich meine, du in deiner Position müsstest doch eher dahinterblicken«, gab sich Frau Fallheimer verwundert.
»Nicht wirklich, Sigrid. Wahrscheinlich weiß ich nicht mehr als du. Elmar ist am Samstag nach Gran Canaria geflogen, um irgendwelche Dinge zu regeln, die er mir nur andeutungsweise genannt hat. Sie wollen wohl expandieren, irgendeine neue Immobilie kaufen oder anmieten.«
»Davon hat Johannes in letzter Zeit auch gesprochen, aber auch nur andeutungsweise. Wir haben uns nur noch sporadisch getroffen, um gelegentlich ein paar Dinge zu regeln, die es zu regeln galt.«
»Elmar hat kürzlich mal angedeutet, Johannes wolle möglicherweise aussteigen.«
»Davon weiß ich nichts, keine Ahnung.«
»Was mich ganz stark interessieren würde«, fuhr Brunhilde fort. »Die Anja Kastel. Du weißt, das ist die aus dem Röntgen – wie war denn dein Johannes mit ihr vertraut?«
»Mit Anja?« Sigrid stutzte. »Ich hab keine Ahnung. Ich sagte bereits – unser Kontakt war eher sporadischer Natur. Johannes hat längst sein eigenes Leben geführt.« Sie überlegte. »Ich versteh deine Frage nicht. Wie kommst du darauf, ausgerechnet jetzt danach zu fragen?«
»Na ja«, fuhr Brunhilde Brugger zögernd fort. »Ich meine mich zu erinnern, dass Elmar kürzlich irgendeine Bemerkung gemacht hat in diese Richtung.«
Frau Fallheimer blieb kühl. »Und wenn schon, Bruni, das interessiert mich auch nicht. Vor allem interessiert mich nicht, was er vor unserer Trennung gemacht hat.«
»Jedenfalls weiß ich nicht, wie’s mit uns weitergehen soll«, seufzte Brunhilde, »vielleicht ist es besser, allein zu sein.«
Sigrid sah ihre Bekannte verwundert an. »Das muss jeder für sich selbst entscheiden, denn manches, liebe Bruni, ist verworrener, als man denkt. Und nichts in einem Verhältnis ist vergleichbar mit einem anderen. Manchmal denk ich mir – warum macht die Menschheit sich alles so kompliziert? Für die paar Jahre nichts als Streit und Ärger und Zoff.«
Brunhilde schwieg.
»Auch wenn ich versuche, Johannes zu vergessen«, fuhr Sigrid fort, »so ist mir eine Bemerkung noch gut in Erinnerung. Er hat einmal gesagt: Jeder muss in einer Beziehung aufpassen, dass es nicht zum Äußersten kommt.«
»Zum Äußersten?«, fragte Brunhilde schnell zurück. »Was hat er damit gemeint?«
»Es hat ihn wohl sehr beschäftigt, dass er während seines Medizinstudiums ein paar Wochen beim Gerichtsmediziner gewesen ist. Die meisten Leichen, die sie obduziert hätten, seien die Opfer von Beziehungstaten gewesen.«
Die
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