Blutsauger
freudiger Erwartung. »Find ich gut, dass August kommt. Endlich mal wieder was los.«
»Ich halte diese Entscheidung für reichlich übertrieben«, erwiderte Schmittke. »Ich werd den Verdacht nicht los, dass in die Sache mehr reininterpretiert wird, als dran ist.«
Der Beamte verzog das Gesicht. »Es reihen sich halt einige Merkwürdigkeiten aneinander – das dürfen wir nicht übersehen. Denn da gibt es noch etwas …«
Schmittkes Miene verriet Ungeduld. »Und das wäre?«
»Da ist doch von einer Adligen die Rede gewesen, die bei diesem Salbaisi aufgetaucht sein soll. Ob du’s glaubst oder nicht, aber in Fallheimers Projektakte gibt es auf der ersten Seite einen handschriftlichen Vermerk, der sinngemäß etwa lautet: Anruf Marion von Willersbach – und dann eine Anschrift irgendwo in der Schweiz. Dazu ein Datum – und zwar jenes vom kommenden Samstag.«.
Sie waren quer über die nördlichen Ausläufer der Alb gefahren. Hinab nach Bad Ditzenbach und ins idyllisch gelegene Fachwerkstädtchen Wiesensteig, das sich tief verschneit und prächtig beleuchtet präsentierte. Für einen Moment musste Linkohr an einen früheren Fall denken, als hier eine verdächtige Person gewohnt hatte. Damals waren er und Häberle einem Irrflieger auf der Spur gewesen. Linkohr fuhr vorsichtig durch die enge und kurvenreiche Ortsdurchfahrt, um danach die Neidlinger Steige anzusteuern – wieder hinauf auf die Alb.
»Du denkst schon dran, dass es glatt sein könnte?«, warf Kerstin ein, als er den Golf allzu schnell die Steilstrecke hochpreschen ließ. Das Scheinwerferlicht glitzerte auf der Straße.
Im Streulicht erkannte Kerstin, dass sie eine mächtige Überlandleitung unterstrahlten. Wenig später huschte der gelbe Vorwegweiser vorbei, der für die Richtung Schopfloch nach links zeigte.
»Das ist ja hinterste Alb«, kommentierte Kerstin, die nie zuvor hier oben gewesen war.
»Idyllisch und Natur pur«, meinte der junge Kriminalist, während sie den Ziegelhof und gleich anschließend den abseits gelegenen Hof Reußenstein passierten, der sich in die tief verschneite Landschaft duckte und nur an einigen beleuchteten Fenstern zu erkennen war.
Linkohr freute sich, dass Kerstin Interesse an der Landschaft zeigte. »Drüben ist der Reußenstein – siehst du aber in der Dunkelheit nicht.« Er deutete nach rechts. »Mächtige Burg, direkt an der Albkante.«
»Ist hier nicht auch irgendwo dieser alte Vulkanschlot?«, zeigte sich Kerstin informiert.
»Randecker Maar, ja. Kannst den Krater noch gut erkennen. Und noch was Interessantes gibt’s hier oben – ein Hochmoor.« Er grinste, obwohl es Kerstin in der Dunkelheit nicht sehen konnte. »Wenn’s neblig ist, hat das ein bisschen Dartmoor-Atmosphäre. England und so. Man kann auf einem Holzbohlenweg rauslaufen.« Er überlegte, ob er den Vorstoß wagen konnte. »Sollten wir mal machen.«
»Klingt spannend. Aber derzeit wär’s wohl zu kalt.«
Linkohr enttäuschte ihre Reaktion, er sagte allerdings nichts. Bis es wieder Frühling war, würde Kerstin mit Sicherheit im Rahmen ihrer Ausbildung ganz woanders sein. Er musste deshalb unbedingt Jenny anrufen, die sich zwar inzwischen bei ihm gemeldet und sogar ihre Nummer hinterlassen hatte. Doch das Gespräch war eher sachlich und kühl gewesen. Vielleicht hatte er Jenny viel zu sehr mit Kerstin verglichen?.
Noch einmal musste er abbiegen – diesmal nach rechts. Die Fahrbahn wurde deutlich enger, weil der Schneepflug hier beiderseits des Weges Wände aus Schnee und Eis hinterlassen hatte.
Das Naturschutzzentrum Schopflocher Alb, dessen Anschrift bezeichnenderweise ›Im Vogelloch‹ lautete, war ein schmuckes, jedoch von einem mächtigen Baugerüst umgebenes Gebäude und lag auf einer dieser sanften Erhebungen, wie es auf der Albhochfläche viele gab. Linkohr bog zum Vorplatz ab, wo die Scheinwerfer mehrere Schneehaufen streiften. Ein größeres Tor stand offen, hinter einigen Fenstern brannte Licht.
Linkohr wusste von dieser Einrichtung, konnte aber Kerstins weitere Fragen nicht beantworten. Zwar eiferte er August Häberle nach, der ihm bei jeder Gelegenheit einbläute, sich jeden Winkel des Zuständigkeitsgebiets einzuprägen. Sich auszukennen, sowohl in der Landschaft als auch bei den Menschen und ihrer Mentalität, gehöre zu den wichtigsten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Kriminalisten – obwohl es die Personalverantwortlichen nicht wahrhaben wollten, die da glaubten, man könne jeden Menschen an
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