Blutsbraeute
der Mann sie aus dem Kofferraum befreite. Die Luft hatte schlecht gerochen. Dann hatte der Mann eine schwere Holztür aufgezerrt und Theresa in eine Finsternis geschleppt, die so undurchdringlich war, dass sie wie eine feste Masse wirkte. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, ob er einen weiten Weg mit ihr zurückgelegt hatte. Irgendwann hatte er sie auf etwas Klumpiges und Hartes fallen lassen. Sie hatte gehört, dass er tief und befriedigt eingeatmet hatte, sich aber nicht gerührt.
Dann war er fortgegangen, hatte eine Tür hinter sich zugeschlagen und zwei Riegel vorgeschoben. Sie hatten geklemmt, aber durch die schwere Tür war nicht zu hören gewesen, ob er wieder fluchte. Dann hatte sich der Schlüssel kratzend im Schloss gedreht.
Tränen liefen durch das Blut in Theresas Gesicht, in ihr Haar. Sie verlagerte das Gewicht, linderte damit den Schmerz in den Schultern und im Nacken ein wenig. Bewegen konnte sie sich nicht. Er hatte sie fachmännisch gefesselt.
Wo sie lag, war es kalt und sehr dunkel. Sie streckte die Finger so weit wie möglich aus, um zu ertasten, worauf sie lag. Die Fasern waren fest, hart, drückten gegen ihre Hüften und ihre Schultern. Ein Tau, dachte Theresa, ein dickes zusammengelegtes Tau. Sie lauschte dem gedämpften Tosen auÃerhalb ihres Verlieses und konnte auf einmal das klagende Heulen eines Nebelhorns hören.
»Das Meer! Wo?« Ihre Stimme in der Dunkelheit erschreckte sie. Sie klang brüchig, als wäre es die Stimme einer Fremden, einer alten Frau. Ihr fielen die anderen Mädchen ein, die in letzter Zeit tot aufgefunden worden waren. Der Mörder war noch nicht gefasst. Sie spürte Panik in sich aufsteigen. Theresa atmete behutsam ein und aus, zwang sich, ruhig zu bleiben. Sie wich vorsichtig der Welle des Grauens aus, die sie zu überrollen drohte.
»Kriegâs raus. Kriegâs raus«, hämmerte es in ihrem Kopf. Die Dunkelheit füllte sich mit winzigen Geräuschen. Sie konzentrierte sich darauf, lenkte sich damit ab, herauszufinden, was für Geräusche das waren.
Dann schweiften ihre Gedanken ab, und sie dachte an die häufigen Spaziergänge mit ihrer Mutter auf der Promenade. Sie parkten meistens am Salzwasserschwimmbad und gingen von dort aus zu FuÃ, hatten Spaà an den flitzenden Skatern, den Nannies, die ihre herausgeputzten Schützlinge auf die Schaukeln setzten. Sie ging in ihrer Erinnerung das graue Band aus Stein entlang, zählte die Bänke, überlegte, ob sie gelb oder blau gewesen waren, ortete die orangefarbenen Papierkörbe, rissige Pflastersteine, dachte an aufgeschnappte Geprächsfetzen. Als sie zu den Bootshäusern an der Three Anchor Bay kam, stutzte Theresa und unterbrach ihren Fantasiespaziergang. Der Mann könnte die Slipbahn zu einem Bootshaus hinuntergefahren sein und Theresa dort irgendwo ausgeladen haben. Niemand hätte sie gehört. Im Sommer lagerten Stadtstreicher zwischen den Felsen, aber nicht im Winter. Sie war bewusstlos gewesen, aber auch Schreie wären hier unbeachtet geblieben.
Theresa drehte das Gesicht der Wand zu. Das Grauen überwältigte sie nun doch. Sie schloss die Augen und lieà sich in die Besinnungslosigkeit zurücktreiben. Sie hörte das leise Kratzen in den Winkeln ihres Verlieses nicht mehr. Die Ratten â in letzter Zeit fett geworden, üppige Kost gewöhnt â warteten auf ihren Augenblick.
Theresa kam unfreiwillig zu sich, als die Riegel an der Holztür mit lauten Schlägen geöffnet wurden. Ihre Kehle brannte vor Durst. Sie hörte die näher kommenden Schritte. Die Vorstellung, so durstig zu sterben, war ihr unerträglich. Sie hielt die Augen geschlossen. Sie würde kämpfen, um am Leben zu bleiben. Plötzlich empfand sie es als unerträglich, überhaupt ans Sterben zu denken.
Der Mann stand jetzt neben ihr. Sie musste sich Zeit verschaffen, sich von dem Schlag auf den Kopf erholen, sich zum Denken zwingen. Sein Geruch, streng vom Adrenalin, stieg ihr unangenehm in die Nase. Sein Atem streifte ihre Wange, dann ihre Lippen. Sie schaffte es, nicht zusammenzuzucken, sich nichts von ihrem Ekel und ihrer Angst anmerken zu lassen.
Der warme Atem des Mannes fuhr weiter über ihre Kehle und ihren Nacken, dann zeichnete seine Hand den Umriss ihres Körpers nach, ohne ihn zu berühren. Ein tiefes Stöhnen entfuhr ihm, schwer von Begehren und gleichzeitig voll Erleichterung.
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