Blutsbraeute
lieà sich von ihrem Schwager umarmen. »Hi, Marcus.«
Sie trug Beatrice hinein und setzte sie auf ihrem Bett ab. Beatrice wühlte in dem Haufen aus Spielsachen. Ein molliger Arm schwenkte triumphierend das Buch, das sie suchte.
»Lies mir eine Geschichte vor, Clare. Bitte, lies mir
eine Geschichte vor.« Dabei blätterte sie schon in dem alten Märchenbuch.
Clare setzte sich neben sie. Es war zwecklos, Widerstand zu leisten. Nach einer Geschichte gab Beatrice Ruhe, und die Erwachsenen konnten ungestört essen. Clare zog ihre kleine Nichte in ihre Armbeuge, genoss ihre Wärme. »Okay, Bea, was wollen wir lesen? Aschenputtel? Rotkäppchen?«
»Blaubart«, sagte Beatrice und hüpfte vor Vorfreude. »Er ist so böse!«
Clare überlief ein Schauer des Grauens beim Anblick des blutrünstigen Bildes, auf dem Blaubarts Frauen in der geheimen Kammer hingen. Die jüngste Frau stand wie versteinert da, den Schlüssel in der Hand, und starrte auf einen groÃen Blutfleck.
»Das ist ihr Lieblingsmärchen.« Imogen stand in der Tür. Sie musste sie schon eine Weile beobachtet haben. Bis vor wenigen Jahren hatte sie von Clare noch eine Gutenachtgeschichte hören wollen. »Ganz schön ekelhaft, aber sie ist verrückt nach der Geschichte. Vor allem nach dem Ende, wenn die Brüder kommen und Blaubart umbringen.«
Beatrice, die sich an den schlanken Körper ihrer Tante kuschelte, streckte ihrer groÃen Schwester die Zunge heraus. Sie stupste mit ihrem Zeigefinger auf das alte Buch. »Lies, Clare, lies.« Clare las.
»âºBlaubart: Die Moral
Frauen, lasst von Neugier ab,
denn sie bringt euch früh ins Grab.
Dümmer könntet ihr nicht sein,
schwere Strafe trägtâs euch ein.
Schaut ihr trotzdem in die Kammer,
groà ist dann der Katzenjammer.
Drum schwört ab, noch hier und heut,
eh euch eure Neugier reut.â¹Â«
»Nein, keine Moral«, unterbrach Beatrice. »Bloà die Geschichte.« Clare spürte, dass der kleine Körper schon schläfrig wurde. Sie zog Bea enger an sich, versuchte, das tote Mädchen von der Uferpromenade in Sea Point aus ihren Gedanken zu verbannen. Clare wollte die Leiche nicht hierherbringen, in das Haus ihrer Schwester. Das Märchen ging zu Ende, und Blaubarts listige Frau wurde von ihren Brüdern gerettet. Clare küsste Beatrice und packte sie ins Bett, überlieà das kleine Mädchen den Träumen von Schwertkämpfen und Rache.
Julie stellte Clare ein Glas kühlen Wein hin, als sie sich zum Rest der Familie an den Kamin gesellte. Clare trank ihn langsam und genoss das Geplätscher des Gesprächs in einer Familie am Ende eines geschäftigen Tages. Der Abend wäre nicht so gemütlich geworden, wenn Riedwaan dabei gewesen wäre. Julie brachte einen glänzenden Kupfertopf herein, und sie aÃen am Kamin â Suppe aus tiefen Tellern mit Brot.
»Was ist mit deiner Hand passiert?« Julie tippte gegen das Pflaster.
»Ein Hund! Kaum zu glauben, oder?«, erwiderte Clare.
»Das hat nichts mit deiner Recherche in Sachen Menschenhandel zu tun?« Julie wirkte misstrauisch.
»Nein, nein«, beeilte sich Clare sie zu beruhigen. »Auf dem leeren Grundstück neben mir ist ein neuer Wachmann, und sein Hund war nicht an der Leine. Er ist plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht, wie der Wachmann
auch.« Clare rieb sich die Hand â es schien zu heilen, weil es zu jucken anfing. »Ich werde es überleben, Julie. Es musste nicht genäht werden, und ich habe vorsichtshalber eine Tetanusspritze bekommen.«
Julie blickte immer noch skeptisch, aber Clare wollte sie nicht weiter verunsichern, indem sie ihr erzählte, wie seltsam der Vorfall tatsächlich gewesen war. »Tut mir leid, Frau Dr. Hart«, hatte der Wachmann höhnisch gesagt und seinen Hund mit der Leine geschlagen. »Vielleicht ist das hier kein so sicherer Ort für Sie.« Dass er ihren Namen wusste, hatte sie mehr erschreckt als der Angriff des Hundes.
»Die Osiris-Gruppe hat das Grundstück gekauft«, sagte Marcus.
»So? Wann? Ich habe gedacht, es gehöre der Stadt«, warf Julie ein.
»Ja, es hat ihr gehört, aber Osiris kauft zurzeit eine Menge Grundstücke«, sagte Marcus. »Die Baugenehmigungen werden vom Stadtrat im Eilverfahren erteilt. Ich habe zwar gehört, dass der Bürgermeister das Genehmigungsverfahren beschleunigen
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