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Blutsbraeute

Blutsbraeute

Titel: Blutsbraeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
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hatte.

    Â»An jenem Morgen war ich früher als sonst unterwegs. Ich hatte eine schlechte Nacht hinter mir und konnte nicht mehr einschlafen.« Clare wusste das aus Riedwaans Gesprächsprotokollen. Xavier Ndoro, der Wachmann, hatte nicht gesehen, wie Mr. Rabinowitz gegangen war. Laut seiner Aussage hatte er Kaffee gekocht, und normalerweise verließ niemand vor sechs Uhr morgens das Haus. Der alte Mann musste sich also selbst die Haustür aufgeschlossen haben.
    Â»Erzählen Sie mir, was geschehen ist«, sagte Clare. »Alles. Jede Kleinigkeit. Wie wenn Sie einen Film noch einmal abspielen. Erzählen Sie mir auch Details, die Ihnen vielleicht unwichtig vorkommen oder gar nicht dazugehörig.« Harry zeigte auf eine Bank, und sie setzten sich. Der Wind hatte sich gedreht und wehte heftig vom Meer her.
    Â»Ich bin wie üblich aus dem Haus gekommen. Es war noch dunkel. Niemand war unterwegs. Die Obdachlosen wärmten sich gegenseitig bei den öffentlichen Toiletten dort drüben.« Clare sah hinüber. Sie waren fünfhundert Meter von der Bank, auf der sie saßen und somit auch von der Stelle, an der das Mädchen gefunden worden war, entfernt. Clare war froh über diese Distanz und über die Windrichtung, so dass sie den Klogestank nicht riechen mussten. »Es war neblig. Ich erinnere mich daran, dass ich ein Nebelhorn gehört habe, als ich auf die Promenade eingebogen bin.«
    Â»Wann haben Sie die Tote bemerkt?«, fragte Clare.
    Â»Als ich um die Biegung herumkam, wo wir jetzt sitzen. Sehen Sie diese Tamarisken?« Er zeigte auf die vom Wind verkrüppelten Bäume. »Sie sind nicht groß, aber
sie nehmen einem die Sicht auf diese kleine Ausbuchtung. Als ich dann hierherkam, habe ich sie gesehen, in der Nähe der Treppe.« Er tupfte sich die wässrigen Augen ab. »Erst habe ich gedacht, es ist ein toter Hund. Oder ein Abfallhaufen. Bis ich gemerkt habe, dass es ein Mädchen war.« Harry Rabinowitz beugte sich nach unten und rieb sich den Fuß.
    Â»Haben Sie sich wehgetan?«, fragte Clare.
    Â»Ich bin an jenem Morgen mit dem Fuß gegen etwas gestoßen. Vielleicht gegen einen Kanaldeckel. In letzter Zeit ist die Stadt so nachlässig mit Wartungsarbeiten, dass sich andauernd jemand verletzt.«
    Sie standen auf und gingen zu der Stelle, wo Charnay gelegen hatte. Die Blumen, die für sie hier abgelegt worden waren, hatte der Wind weggefegt. Oder Stadtstreicher hatten sie mitgehen lassen und für ein paar Rand verkauft. Das reichte für etwas billigen Wein oder für eine Flasche Methylalkohol.
    Der alte Mann nahm den Hut ab und schloss die Augen. Clare schaute auf das Meer hinaus. Fünfzig Meter entfernt führte eine Treppe hinunter zu den zerklüfteten Felsen, die nur bei Ebbe auftauchten. Um kurz nach sechs Uhr an jenem Morgen, an dem die Leiche gefunden wurde, war Flut gewesen. Es war Vollmond, folglich war das Wasser tief. Bei einer Springflut waren die Felsen sogar ganz unter Wasser. Ein Boot hätte unten an der Treppe anlegen können.
    Sie drehte dem Meer den Rücken zu. Der Parkplatz war so nahe, dass Clare sehen konnte, was für Mitnahmegerichte die Leute aßen. Wer auch immer Charnay abgelegt haben mochte, hätte ganz einfach dort parken
können. Es hätte nur Sekunden gedauert, das Mädchen  – sie hatte nicht mehr als fünfzig Kilo gewogen – hierherzutragen und so hinzulegen, dass Harry sie fand, in einer so sorgfältig arrangierten Pose, als wäre sie ein Model bei einem Shooting.
    Clare zog den Mantel enger um sich und ging zur Bank zurück. Der große Kanaldeckel saß richtig auf. Entweder war es nicht der, an dem sich Harry Rabinowitz den Fuß verletzt hatte, oder die Stadt hatte ihn in Ordnung bringen lassen.
    Harry hatte den Hut wieder auf und saß auf der Bank. Clare setzte sich neben ihn.
    Â»Es war so still an jenem Morgen«, sagte er. »Sie wissen, wie das ist, wenn der Nebel die Geräusche schluckt?« Clare nickte. »Es war auch noch nicht viel Verkehr, aber mir war, als hätte ich gleich, nachdem ich das Mädchen gefunden hatte, einen Automotor gehört. Ich habe aufgeschaut, weil ich auf Hilfe hoffte, aber ich konnte keine Scheinwerfer sehen. Ich nahm nur ein Geräusch wahr, es schien von unten zu kommen. Aber der Nebel verzerrt die Dinge und erschwert die Orientierung. Und dann kam jemand. Es war die Frauengruppe, die regelmäßig

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