Blutschande
unweigerlich der Begriff »Portal« in den Sinn kam.
Er streckte der älteren Frau, die ihm geöffnet hatte, seine Polizeimarke entgegen. Sie schien Ende sechzig zu sein, war für ihr Alter recht hübsch, hatte aber kalte, meeresfarbene Augen. Gepflegt und gut erhalten, wie ein Auto, dachte er. Elegant gekleidet – war das ein Kostüm, oder wie nannte man diese Kombinationen? Er war sich nicht sicher.
»Nehmen Sie die Marke da weg!«, fauchte sie. »Was sollen denn die Nachbarn denken!«
Per Roland steckte seine Polizeimarke zurück in die Tasche.
»Ich würde gerne mit Erik Adelskov sprechen.«
»Der wohnt nicht mehr hier. Er hat geheiratet und ist nach Norden gezogen. Nach Snekkersten. Kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen?«
Die Frau drückte die schwere Holztür so weit wie möglich zu.
»Darf ich fragen, wie Sie heißen?«
»Ich bin Frau Adelskov, Witwe«, sagte sie würdevoll. »Erik ist mein Sohn.«
»Tja, ich muss leider mit Erik Adelskov persönlich sprechen. Vielleicht könnten Sie mir sagen …«
»Ja, dann kann ich Ihnen leider nicht helfen, Herr … Kommissar«, unterbrach Frau Adelskov ihn und wollte die Tür ganz schließen, als er hinter ihr ein Geräusch hörte. Er legte seine Hand an die Tür, aber die Frau drückte im Gegenzug mit aller Kraft zu. Er versuchte die eingeklemmten Finger herauszuziehen und schrie auf vor Schmerzen.
»Verdammt, jetzt machen Sie doch diese … verdammte Tür wieder auf«, rief er.
Schließlich öffnete die Tür sich wieder, und Per Roland zog seine Hand zurück, während er nicht zu zeigen versuchte, wie sehr seine Finger schmerzten. Er hörte eine leise Diskussion im Hintergrund, und dann kam ein großer, breitschultriger Mann Mitte dreißig zum Vorschein. Seine blonden Haare waren mit Gel nach hinten gekämmt. Er trug teure Kleider, so teuer, wie Per Roland sie noch niemanden hatte tragen sehen.
»Es tut mir wirklich leid, Herr Kommissar. Ich weiß nicht, was in meine Mutter gefahren ist. Sie ist auf ihre alten Tage manchmal etwas sonderlich.«
Roland nickte mit zusammengebissenen Zähnen.
»Okay. Ich gehe davon aus, dass Sie Erik Adelskov sind?«
»Ja, das ist korrekt!«
»Gut, mit Ihnen wollte ich sprechen.«
Erik Adelskov machte die Tür ganz auf und nahm einen langen Mantel von einem Bügel im Garderobenschrank, der seitlich hinter dem Eingang stand.
»Machen wir einen Spaziergang?«, fragte er.
Per Roland nickte.
Die kühle Abendbrise hatte sich beinahe ganz gelegt und zeichnete nur noch kleine Kräuselwellen auf den Øresund. Katzenpfötchen, dachte Per Roland und beobachtete, wie sie über die Wasseroberfläche liefen, bis sie schließlich das Land erreichten und er den Wind auf den Haaren beziehungsweise der Kopfhaut spürte. Diese Katzenpfötchen zeigten einem erfahrenen Segler, von wo der Wind wehte und wie man ihn einfangen konnte. Ein Wissen, das über Sieg und Niederlage bei jeder Regatta entschied. Es ging immer nur darum, die Zeichen zu erkennen und richtig zu deuten.
»Eine fürchterliche Geschichte mit dem Nachbarmädchen«, sagte Erik Adelskov, als sie unten am Strand waren. »Wirklich fürchterlich, das berührt uns alle. Ich nehme doch an, dass Sie deshalb mit mir sprechen wollen? Ich denke, es ist besser, wenn wir nicht im Haus sprechen, meine Mutter erträgt die Aufregung so schlecht.«
Per Roland stutzte eine Sekunde. Frau Adelskov hatte auf ihn ganz und gar nicht wie jemand gewirkt, den man schützen musste, dachte er und warf einen Blick auf seine roten, geschwollenen Finger.
»Wir suchen noch immer nach Cecilie und müssen deshalb natürlich auch die Nachbarn befragen, ja.«
»Ich wohne hier ja nicht mehr, wenn ich meine Mutter auch recht oft besuche. Sie ist nicht mehr die Jüngste und braucht in dem großen Haus schon mal Hilfe.«
»Ihr Vater ist tot, habe ich das richtig verstanden?«
»Ja, mein Vater ist gestorben, als ich 18 war.«
»Wie ist er gestorben?«
»Ein Autounfall. Auch eine schreckliche Geschichte. Aber darüber sprechen wir nicht.«
Es kam Roland so vor, als vermiede man in dieser Wohngegend nicht gerade wenige Themen.
»Segeln Sie?«, fragte er. Sie hatten den Hafen erreicht, wo die schmucken Boote Kiel an Kiel lagen. Das Wasser im Hafenbecken war überraschend klar, dachte er.
»Ja, natürlich segle ich. Das tun hier fast alle. Alle in meiner Familie sind gesegelt.«
Am Anfang der Mole war ein Bereich mit rotweißem Absperrband abgeriegelt. Ein paar Journalisten schlichen herum, während
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