Blutschande
dem Wasser gezogen. Zuerst hat er nicht weiter darüber nachgedacht. Es ist nichts Ungewöhnliches, nach dem Wochenende Fahrräder oder Einkaufswagen im Hafenbecken zu finden. Er dachte sich, dass jetzt irgendwo ein kleines Mädchen traurig nach seinem Fahrrad suchte, aber da wurde ihm plötzlich klar, dass er dieses Rad kannte. Cecilie ist ja oft mit ihrem Vater in den Hafen gekommen, und noch am Tag zuvor war sie mit dem hellroten Fahrrad mit dem weißen Lenkerkorb im Hafen herumgekurvt. Ohne Rettungsweste, weshalb er noch gedacht hatte, dass die Eltern wirklich gedankenlos waren. Sie saßen an Deck ihres Bootes und aßen, während ihre Tochter auf dem Gelände herumradelte. Als er später im Radio hörte, dass das Mädchen verschwunden war, hatte er natürlich gleich gefürchtet, dass ein Unglück geschehen sein könnte, und hatte die Polizei angerufen.«
»Gut, was sonst noch?«
»Lange Lind hat im Sand an der Mole Reifenspuren gefunden, die zu dem Fahrrad passen könnten. Aber sie sind nicht sonderlich tief. Es sieht eher so aus, als hätte jemand das Fahrrad geschoben. Wir haben auch eine Fußspur und die kommt sicher nicht von einem kleinen Mädchen. Der ganze Bereich ist jetzt abgesperrt, damit niemand die Spur zerstören kann. Und wir haben einen Gipsabdruck gemacht.« »Welche Schuhgröße?«
»Was war das für eine Schuhgröße?«, rief Carsten Svendsen, und Roland hörte Lange Lind etwas im Hintergrund brummeln.
»44.«
»Das deutet auf einen erwachsenen Mann hin. Was wissen wir sonst noch über den Schuh?«
»Hast du den Schuhabdruck in die Kriminaltechnik geschickt?«, rief Svendsen, und wieder antwortete Lange Lind im Hintergrund etwas.
»Ja. In dem Abdruck war der Teil eines Markenzeichens zu erkennen. Wir untersuchen noch, um welche Marke es sich handelt.«
Wieder meldete Lind sich im Hintergrund.
»Lind sagt, es sei nur etwa die Hälfte des Markenzeichens zu erkennen gewesen, wir brauchen also wohl einige unterschiedliche Schuhmarken zum Vergleich.«
»Gute Arbeit. Dann wissen wir also, dass das Fahrrad geschoben wurde?«
»Vermutlich. Aber jetzt kommt das Merkwürdige. Das Fahrrad ist von der Kriminaltechnik untersucht worden, und die sagen, dass dieses Rad auf keinen Fall nur eine halbe oder dreiviertel Stunde im Wasser gelegen hat. Und davon gehen wir im Moment ja noch aus.«
Per Roland spürte, wie sich die kleinen Haare in seinem Nacken aufstellten.
»Wie lange soll es dann da gelegen haben?«
»Ausgehend von den Lackschäden, die das Salzwasser verursacht hat, und den Algen und Tieren, die sich bereits am Rahmen festgesetzt haben, muss es mindestens zehn Stunden dort gelegen haben.«
Per Roland ließ seinen Blick über den Hafen schweifen. Plötzlich sah er die schönen Boote mit ihren gepflegten Teakdecks gar nicht mehr, und auch das beruhigende Geräusch des Großsegelfalls, das an den Mast schlug, erreichte seine Ohren nicht mehr.
»Ich glaube, wir müssen noch einmal mit Cecilies Eltern reden«, sagte er und legte auf.
Mit langen Schritten trabte er zurück in den Gammel Strandvej, wo der Hund jetzt mit seiner Arbeit fertig sein musste.
Er hatte noch nicht einmal die Abzweigung von der Uferstraße in den Gammel Strandvej erreicht, als das Handy in seiner Tasche erneut vibrierte.
»Kommen Sie bitte so schnell wie möglich«, hörte er den Hundeführer sagen.
»Schon unterwegs, ich bin in fünf Sekunden da.«
Per Roland begann zu laufen. Sein Magen rumorte nervös, und je näher er Cecilies Heim kam, desto sicherer war er, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte.
Der Hundeführer kam ihm an der Garage ohne seinen Hund entgegen. Roland sah es ihm gleich an. Diesen Blick kannte er.
»Sie haben sie gefunden, nicht wahr? Wo ist sie?«
9
Per Roland folgte dem jungen Beamten ins Haus und über die Treppe in den Keller. Sie passierten den Weinkeller, einen Trainingsraum, den Pumpenraum für den Pool, einen Waschkeller und einen Spielkeller mit allem möglichen Spielzeug, das ordentlich in Kisten in einem Regal verstaut war, einer kleinen Rutsche, einer Spielzeugküche, einem Sitzsack und einer Höhle, die mit ein paar alten Decken gebaut worden war. Hier also war Cecilies Reich, dachte er, hier durfte sie Kind sein. Nicht oben in ihrem eigenen Zimmer, sondern unter der Oberfläche, dort, wo niemand sie sah.
»Wir müssen hier runter.«
Der Hundeführer ging zu einer Klappe im Boden, die mit einem Teppich verdeckt gewesen war und weiter nach unten in einen alten
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