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Blutschande

Titel: Blutschande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Therese Philpsen
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Kriechkeller führte. Die Klappe stand jetzt offen, und Per Roland sah hinab ins Dunkel. Dann bekam er eine Taschenlampe und sah sich um. Der Keller war so flach, das dort niemand aufrecht stehen konnte, höchstens 60 Zentimeter, schätzte er. Er hatte einen Naturboden, in dem das aus Ziegeln errichtete Säulenfundament des Hauses verankert war. Unweit der Falltür fiel der Lichtkegel auf den Körper eines kleinen Mädchens. Er lag auf der Seite, und die Hände waren vor der Brust gefesselt.
    Als Roland sich hinkniete und den Lichtstrahl auf ihr Gesicht richtete, erkannte er sie von den Bildern wieder. Die kräftigen, langen, blonden Haare lagen wie eine Decke auf ihrer rechten Schulter. Im Polizeihandbuch hieß es: »Für Personen ohne medizinische Zusatzausbildung gibt es nur zwei sichere Anzeichen für den Tod einer Person: Enthauptung oder fortgeschrittene Verwesung.« Beides war hier nicht der Fall, und obgleich Per Roland keine medizinische Zusatzausbildung hatte, zweifelte er nicht daran, dass das Mädchen tot war. Ein süßlich schwerer Geruch, wie ihn nur ein Leichnam ausströmte, der schon eine gewisse Zeit in einem Raum lag, stieg ihm aus dem Keller entgegen. Das Seil, mit dem ihre Hände gefesselt waren, war straff gebunden und trotz des Abstands brauchte Per Roland nicht lange, um zu erkennen, dass es sich bei dem Knoten um zwei halbe Schläge und einen Rundtörn handelte.
    Er stand wieder auf.
    »Das Mädchen muss da rausgeholt werden, das soll aber lieber die Kriminaltechnik machen, damit wir keine Spuren verwischen. Sie waren der Erste am Fundort, also sind Sie für den Bericht verantwortlich. Sie erleben so etwas zum ersten Mal, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Gut. Denken Sie an die goldenen Regeln. Um keine Spuren zu zerstören, ist Rauchen verboten. Tragen Sie keine Handschuhe, Ihre eigenen Fingerabdrücke sind leichter zu identifizieren, Benutzen Sie weder Waschbecken noch die Toilette. Im Abfluss könnten noch Reste von Blut oder Gift nachzuweisen sein. Alle elektrischen Schalter müssen in der Stellung bleiben, in der sie waren, eventuelle Änderungen müssen notiert werden. Benutzen Sie am Fund- oder Tatort kein Telefon. Kurz gesagt: Verhalten Sie sich ruhig und tun Sie nichts.«
    Der junge Beamte hörte ihm nickend zu.
    »Es liegt in Ihrer Verantwortung, dass sich niemand dem Keller nähert, bevor die Kriminaltechnik da ist. Jedes noch so kleine Detail könnte eine wichtige Spur für die Aufklärung sein. Verstanden?«
    »Ja.
    »Und dann müssen wir mit den Eltern reden. Wo sind sie?«
    »Die sitzen oben im Wohnzimmer.«
    »Wissen sie etwas?«
    »Nein.«
    *
     
    Die schwerste Aufgabe eines Polizisten ist ohne Zweifel die, Eltern mitzuteilen, dass sie ein Kind verloren haben. Doch wenn diese Aufgabe sich stellt, muss man bereit sein, sie zu übernehmen. Per Roland wusste aus Erfahrung, wie wichtig es war, diese Nachricht offen und direkt zu überbringen. Man durfte sich nicht abwenden oder in eine andere Richtung schauen. Es war eine Konfrontation mit Gefühlen, mit Reaktionen auf Worte gewaltiger Tragweite, weshalb es wichtig war, in sich zu ruhen und offen zu kommunizieren. Und Per Roland fürchtete sich nicht vor Tränen. Er hatte sie als Teil des Lebens akzeptiert.
    Deshalb sah er Cecilies Eltern direkt in die Augen und sagte:
    »Es tut mir sehr leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Ihre Tochter gefunden haben ...«
    Er kam nicht weiter, denn Anne Grethe Junge-Larsens perfekte Fassade fiel in sich zusammen. Tränen strömten über ihre Wangen und nahmen Schminke und Wimperntusche mit.
    »Ich kann Ihnen nur mein Beileid zu Ihrem Verlust ausdrücken.«
    Michael Junge-Larsen stand am Fenster, er hatte seinen Blick von Per Roland genommen. Draußen war das Orange jetzt vollends von der Dunkelheit geschluckt worden, und Roland hörte, dass auch der Wind sich gelegt hatte. Kein Zweig des Baumes, der dicht vor dem Fenster stand, bewegte sich.
    »Ich muss Ihnen leider auch noch mitteilen, dass wir sie im Kriechkeller unter Ihrem Haus gefunden haben.«
    »Hier im Haus. Aber mein Gott ... Michael ...«
    Anne Grethe Junge-Larsen sah ihren Mann verwirrt an, doch er antwortete nicht. Dann ging er zu ihr und setzte sich neben sie.
    »Bitte gehen Sie jetzt«, sagte Michael Junge-Larsen, ohne sich direkt an Per Roland zu wenden. »Meine Frau und ich würden jetzt gerne ein bisschen allein sein.«
    »Ja, das verstehe ich, es gibt aber leider noch ein paar Dinge, die wir vorher klären müssen. Deshalb muss

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