Blutschnee
zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich dorthin, von wo er gekommen war – wo immer das gewesen sein mag.«
Joe spürte eine Welle der Erschöpfung. Er war seinem Ziel, Spud aufzuspüren, keinen Schritt näher. Sein Kopfschmerz war nur noch ein stetes Klopfen in der rechten Schläfe. Joe griff sich mit der bloßen Hand ans Ohr und holte Schnee heraus.
»Haben Sie mich verstanden?«, fragte Brockius.
»Ja – und ich glaube Ihnen«, setzte Joe hinzu.
»Diese brutalen Banditen«, knurrte der Widerling in Weiß. »Verstecken sich hinter Vorschriften und Abzeichen, aber ziehen einem Kaninchen zugleich bei lebendigem Leib das Fell ab und nehmen die Schreie auf.«
Stimmt, dachte Joe – daher stammt das furchtbare Kreischen.
Für einen langen Moment sagte niemand etwas. Das Schreien des Kaninchens fuhr Joe wie eisiges Metall das Rückgrat entlang. Schließlich hörte es auf.
»Das fängt gleich wieder an«, sagte der Widerling. »Bist du damit einverstanden, dass ich die Leitung kappe?«
Brockius schaute auf. »Achte auf Fallen. Ich trau den Kerlen zu, dass sie Stolperdrähte zwischen die Bäume gespannt haben.«
Der Mann in Weiß schaltete die Taschenlampe ein, die an den Lauf seines Gewehrs montiert war, und machte sich zum Zaun und zur Straße auf, die dahinter verlief.
»Haben Sie was dagegen, wenn ich April Hallo sage?«, fragte Joe. »Ich habe sie vorhin gesehen.«
»Sie meinen, Sie haben ihr nachspioniert?«
Joe nickte. »Ja, das habe ich.«
»Hat Sie einen glücklichen Eindruck auf Sie gemacht?«
Er zögerte. »Sie schien jedenfalls nicht unglücklich.«
»Dann ist Ihre Frage ja beantwortet. Sie können jetzt gehen. «
Brockius half Joe auf die Beine. Seine Knie waren weich, und er hatte einen Schneeschuh verloren. Während sein Kopf leise weiterpochte, waren die Rippenschmerzen übler geworden. Bei jedem tiefen Atemzug spürte er ein Stechen.
»Ihr Mann hat mir eine Rippe gebrochen, glaube ich.«
»Sie können froh sein, dass er Ihnen nicht den Schädel gebrochen hat.«
»Er hat alle Anstalten dazu getroffen«, sagte Joe und empfand eine seltsame Ausgelassenheit.
Brockius begleitete ihn in die Ecke des Lagers, wo er entdeckt worden war. Der andere Mann in Weiß schloss sich ihm kurz an, reichte Brockius Joes Pistole und eilte seinem Kameraden nach, um ihm beim Kappen der Leitung zu helfen. Die war bisher offenkundig unentdeckt geblieben, denn das Lied begann von neuem.
»Schaffen Sie es allein zurück?«, fragte Brockius.
»Das nehme ich an«, erwiderte Joe, doch der Schmerz ließ ihn zusammenzucken.
»Die Straßen sind gesperrt und bewacht. Wir haben keine Möglichkeit, Sie ins Tal zu bringen – selbst wenn wir es wollten. Der Schnee hält uns hier gefangen.«
»Werden Sie weiterziehen, wenn es nicht mehr schneit?«
Brockius blieb stehen. Joe musterte ihn. Sein Gegenüber hatte ein freundliches Gesicht. Joe konnte nicht umhin, ihn sympathisch zu finden.
»Gut möglich«, erwiderte Brockius leise. »Wir haben heute Nachmittag darüber diskutiert. Aber ich kann noch nicht für alle sprechen.«
»Es wäre sicher eine gute Idee«, erklärte Joe, ohne etwas von Munkers Plänen zu verraten.
Aber wenn die Souveränen weiterziehen, überlegte er, dann nehmen sie April mit.
»Meine Frau und ich – wir werden uns weiter bemühen, April zurückzubekommen«, sagte Joe.
»Daran habe ich nicht den leisesten Zweifel«, meinte Brockius lächelnd.
»Meine Frau ist ein sehr entschlossener Mensch«, setzte Joe hinzu.
Brockius nickte, sagte aber nichts, während er mit seiner Taschenlampe den Weg ableuchtete, den Joe entlanggeschleift worden war. Als er den fehlenden Schneeschuh entdeckte, ließ er den Lichtkegel darauf ruhen.
Während Joe den Schuh anschnallte, fragte er nach seiner Waffe. »Die brauch ich zurück.«
Brockius schüttelte erneut den Kopf.
»Ich treffe damit ohnehin nichts«, murmelte Joe, und Brockius lachte.
»Es war ganz schön gewagt von Ihnen, sich so in unser Lager zu schleichen. Ich bin beeindruckt. Ich hätte nie gedacht, dass es jemand quer durch den Wald schafft.«
Joe zuckte die Achseln.
Plötzlich hörte die Musik auf. Überall auf dem Platz drangen Freudenrufe aus Wohnwagen und Wohnmobilen.
»Gott sei Dank«, sagte Brockius erleichtert.
Joe erhob sich. Die Schneeschuhe saßen ihm fest an den Stiefeln. Es schien plötzlich unglaublich still. Noch immer schneite es, doch die Flocken waren so fein, dass sich um die Lichter herum Höfe bildeten.
»Ich hatte
Weitere Kostenlose Bücher