Blutschnee
wenig im Griff zu haben. Dennoch erstreckten sich das offene Land und das geballte Weiß, so weit er blicken konnte. Falls der Wind auffrischte, würden sich sofort Schneewehen bilden und die Weiterfahrt unmöglich machen.
Joe war so erschöpft, dass er den dunklen Umriss des stecken gebliebenen Jeeps beinahe nicht bemerkt hätte. Erst als er neben dem Auto bremste, erkannte er den Wagen und merkte, dass der Motor lief.
Die Plastikfenster waren beschlagen. Dampf entwich wie Schornsteinrauch durch die Lüftungsschlitze am Dach. Joe ließ das Fenster auf der Beifahrerseite herunter und beugte sich über den Sitz.
»Nate?«, rief er, erhielt aber keine Antwort und drückte die Hupe.
Eine behandschuhte Linke wischte die Seitenscheibe des Jeeps frei, und zwei große Augen richteten sich schläfrig auf ihn.
»Joe!«, drang eine Stimme aus dem Jeep. »Ich hab Sie nicht gehört. Hab geschlafen.«
Die Tür ging auf, und ein lächelnder Nate Romanowski winkte mit dem Zettel, den Joe ihm geschrieben hatte.
»Ich hab Ihre Nachricht bekommen und bin bei Ihnen vorbeigefahren. Ihre Frau hat mir erzählt, dass Sie sich hier rumtreiben. Leider sitze ich fest. Also«, setzte er hinzu, »brauchen Sie jetzt doch Hilfe?«
»Ja.«
Joe wusste zwar nicht recht, welche Art von Hilfe er benötigte und welche Rolle Nate spielen sollte, doch es war gewiss besser, wenn Nate zu ihm in den Wagen stieg.
»Rein mit Ihnen«, rief er. »Ich hab Schneeketten auf allen Reifen und schaff es vermutlich in die Stadt. Später können wir Ihren Jeep freischaufeln.«
Nate nickte knapp, schnappte sich seinen Rucksack, watete durch den bis zu den Oberschenkeln reichenden Schnee zu Joes Beifahrertür und schwang sich in den Wagen.
»Was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte er und musterte Joe.
»Ein paar Souveräne haben mich verprügelt. Ich hatte es verdient.«
Er wollte anfahren, doch die Räder drehten durch.
»Oh nein«, brummte Nate.
Joe setzte energisch zurück, legte erneut den Vorwärtsgang ein, gab mächtig Gas und konnte die heikle Stelle passieren.
»Ich bremse nicht noch mal«, sagte er. »Für nichts und niemanden. «
»Joe, ich hab in Idaho viel über Melinda Strickland und Dick Munker rausgefunden. Und nichts Gutes.«
»Dort waren Sie also? In Idaho?«
»Ich wusste ja nicht, dass Sie mich hier brauchen. In Idaho sind siebzig Prozent der Staatsfläche in Bundesbesitz und werden von US-Behörden verwaltet. Wenn Einheimische sich irgendwo mit Bundesbeamten auskennen, dann dort. Ich hab ein paar Freunde da und war neugierig, was Strickland und Munker angeht.« Er zögerte kurz.
»Weiter«, sagte Joe. Er wollte die Geschichte hören, brauchte Nates Stimme aber auch, um wach zu bleiben.
»Ich will Ihnen keine Angst einjagen, aber Sie werden all ihre Freunde brauchen, um gegen die zwei zu bestehen.«
Joe ächzte. Das klang nicht gerade ermutigend.
»Wollen Sie Kaffee?«, fragte Nate und wühlte in seinem Rucksack.
Joe nickte.
»Strickland ist noch schlimmer, als ich dachte«, sagte Nate und goss dampfenden Kaffee in Joes Autobecher. »Die Leute, mit denen ich gesprochen habe, halten sie für böse und irrsinnig, wissen aber nicht, ob sie anfangs nur böse war und dann verrückt wurde oder von Beginn an verrückt war und deshalb nicht weiß, was sie tut.«
Joe stürzte den Kaffee herunter, ohne sich daran zu stören, dass er sich die Zunge verbrannte. Ihm tat alles weh, und sein Rücken wurde steif. Er wusste nicht, wie lange er es noch schaffen würde, den Wagen in der Spur zu steuern und nicht im Tiefschnee zu landen. Er hätte Nate bitten sollen zu fahren, doch nun war es zu spät; er würde nicht noch einen Stopp einlegen und Gefahr laufen, stecken zu bleiben.
»Bitte nur Fakten, Nate, keine Deutung«, fuhr Joe ihn an. »Wir brauchen kein Psychogelaber. Wir haben nicht viel Zeit, und ich bin mir noch nicht sicher, wie ich die Sache anpacken soll.«
Nate füllte Joes Becher auf, stellte ihn in den Halter und öffnete seinen Parka, da er zu schwitzen begann.
»Melinda Strickland ist die Tochter eines Senators aus Oregon und hat ein Treuhandvermögen im Rücken«, sagte er. »Ihr Vater hat sie in der Bundesverwaltung untergebracht, nachdem sie an der Nordwestküste und in diversen Behörden der Hauptstadt recht erfolglos tätig war. Offenbar hat sie auch einige Jahre wegen Drogen – und Alkoholproblemen in verschiedenen Anstalten verbracht. Und sie soll an ausgewachsener Paranoia leiden.«
Joe warf Nate einen kurzen
Weitere Kostenlose Bücher