Blutschnee
Schlaf rosig und warm, und auf seinen Wangen schmolzen Flocken.
»Gut«, sagte er und öffnete die Augen. »Ich habe die Hände oben und komme raus. Machen Sie keine Dummheiten.«
»Das kann ich Ihnen nicht versprechen.« Joe war äußerst erleichtert, dass der Pfarrer seinen Befehlen Folge leistete.
Cobb tapste in Pantoffeln auf die Veranda. Er trug den gleichen
Bademantel wie am Vortag, hatte die Hände erhoben und wirkte ruhig, aber erschöpft. Seine hängenden Schultern hatten etwas Besiegtes.
»Ich habe mich gefragt, was Sie gestern nach unserem Gespräch unternommen haben«, sagte er.
»Ich bin zum Lager gefahren«, erwiderte Joe, »war aber zu spät. Die Souveränen hatten Spud schon abgewiesen und ihn weggeschickt.«
Cobb nickte. »Ich hatte schon vermutet, dass sie ihn nicht reinlassen würden. Allerdings wollte ich Ihnen nicht zu viel erzählen. Was Spud getan hat, heiße ich nicht gut. Ich mag ihn nicht mal besonders. Doch es ärgert mich maßlos, wie tyrannisch und selbstherrlich sich die Bundesbeamten aufführen. «
Joe hätte Cobb am liebsten mit der Flinte einen Schlag ins Gesicht verpasst.
»Verdammt, Cobb, hören Sie mal fünf Minuten mit Ihrem regierungsfeindlichen Geschwätz auf«, fuhr er ihn an. »Ich kenn das doch alles, und es ist mir vollkommen schnurz. Das Einzige, was mich im Moment interessiert, ist mein kleines Mädchen. Sie haben zwölf Stunden meiner Zeit verschwendet, obwohl Sie eigentlich wussten, dass er hierher zurückkehren würde.« Joe lud zornig die Flinte durch und setzte Cobb die Mündung ans Ohr.
Cobb zuckte vor dem eisigen Metall zurück, und seine Augen weiteten sich vor Angst. Joe war das nicht unrecht.
»Ich hab Sie immer gemocht, B.J.«, sagte er und drückte ihm den Lauf fester ans Ohr. »Ich weiß gar nicht, warum. Aber wenn Sie mir jetzt nicht die Wahrheit sagen – die ganze Wahrheit – , wird es sehr schnell sehr ungemütlich.«
Cobb schloss kurz die Augen und atmete gequält ein. Joe drückte ihm die Flinte so fest ans Ohr, dass der Kopf des Pfarrers
an den Türpfosten stieß und die Mündung des Gewehrs in seiner Ohrmuschel steckte.
»Gut«, sagte Cobb leise.
Joe setzte das Gewehr ab, nicht ohne Scham über das, was er Cobb gerade angetan hatte.
»Ist er da drin?«, fragte er.
Der Pfarrer schüttelte den Kopf und rieb sich das Ohr. »Er war die letzten Tage über in der Kirche. Aber seit seinem Verschwinden hab ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Dann ist er also …«, begann Joe, als Nate von der Rückseite des Hauses nach ihm rief.
»Joe! Da ist er.«
Joe drehte sich um und spähte durchs dichte Schneetreiben zur Kirche. Eine Tür stand offen, und ein schattenhafter Umriss – Spud Cargill – floh übers Feld. Er hatte also bei Joes und Nates Ankunft in der ungeheizten Kirche gekauert und war nun aus der Tür hinter der Kanzel gerannt.
»Ja, das ist er«, sagte Cobb resigniert. »Er muss gewusst haben, dass ich ihn nicht in mein Haus lasse.«
Joe drehte sich zu Cobb um. Der Pfarrer schüttelte traurig den Kopf und rieb sich noch immer das Ohr, sank aber in sich zusammen. All sein Widerstand schien überwunden. Er würde sich nicht vom Fleck rühren und bedeutete keine Gefahr mehr, da er Spuds Aufenthalt ja bereits preisgegeben hatte.
Joe senkte die Flinte, sprang von der Veranda und wandte Cobb den Rücken zu.
»Gehen Sie ins Haus und halten Sie sich raus«, rief er ihm zu. »Sie haben damit nichts mehr zu tun.«
»Tun Sie ihm nichts«, bat Cobb. »Er ist ein Dummkopf, doch es gibt keinen Grund, ihm was zu tun.«
Nate kehrte auf den Parkplatz zwischen Haus und Kirche
zurück und keuchte, weil er sich durch den Tiefschnee gearbeitet hatte.
Joe lief zu seinem Pick-up, brachte die Rampe an, startete den Schlitten und blinzelte in den Sturm. Spud Cargill war nun so weit entfernt, dass er im Schneetreiben kaum mehr zu erkennen war.
»Spud Cargill, stehen bleiben!«, brüllte er. »Zwingen Sie uns nicht, Ihnen nachzukommen!«
Joe rief ihm wiederholt hinterher, während er mit dem Schlitten von der Ladefläche setzte. Cargill reagierte nicht, sondern kämpfte sich weiter durch den Schnee und stürzte dabei mehrmals.
Joe hielt mit dem Motorschlitten neben Nate.
»Ich kann ihn von hier aus treffen«, sagte Nate und zog seine .454er aus dem Schulterholster.
»Nein! Ich schnapp ihn mir.«
»Ich könnte ihm ein Bein wegschießen.«
»Nate!«
Nate lächelte schwach und zuckte die Achseln. »Ich geb Ihnen Feuerschutz, falls er Zicken
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