Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutschnee

Blutschnee

Titel: Blutschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Box
Vom Netzwerk:
aberkannt werden, wenn von einem Elternteil mindestens einmal im Jahr Kontakt zum Kind aufgenommen wurde, und da Jeannie Keeleys Brief als so ein Kontakt galt, wurde das Verfahren erneut verzögert. Richter Pennock war zwar wieder im Gericht, aber mit der Arbeit hoffnungslos im Rückstand. Joe hatte versucht, den Fall zu beschleunigen, und damit sogar
einen gewissen Erfolg gehabt, doch die Anhörung war noch nicht erfolgt.
    Das gerichtliche Verfahren war frustrierend gewesen und hatte sich endlos hingezogen, aber Marybeth und Joe waren optimistisch geblieben, dass es zu einer guten Lösung führen würde.
    »Du musst dich so bald wie möglich darum kümmern«, sagte Marybeth.
    »Mach ich«, erwiderte Joe.
    »Diese Frau jagt mir Angst ein. Falls sie tatsächlich zurückgekehrt ist, werden wir echte Probleme bekommen.«
    »Zweifellos«, sagte er, legte den Arm um Marybeth und zog sie an sich.
    »Morgen früh muss ich erst mal den Sheriff zum Tatort führen«, fuhr er fort. »Danach wollen sie mich sicher los sein. Also dürfte ich dann Zeit dafür haben.«
    »Wie dem auch sei – wenn die Schule wieder anfängt, müssen wir versuchen, die Mädchen selbst von der Schule abzuholen«, sagte Marybeth, und ihre Stimme wurde lauter. »Ich will nicht riskieren, dass April etwas zustößt.«
    Joe nickte und bemühte sich, nicht einzuschlafen. Er wusste, dass Marybeth ihn brauchte und sich den ganzen Nachmittag und Abend lang Sorgen gemacht und mit niemandem darüber hatte sprechen können. Er wollte etwas sagen, das ihr etwas Zuversicht und Ruhe schenken würde, doch seine Zunge war schwer, und die Lider fielen ihm zu. Dass es ihm nicht gelang, sich von den Schrecken, die er an diesem Nachmittag und Abend erlebt hatte, zu lösen, bereitete ihm ein enorm schlechtes Gewissen, denn er wusste, dass ihre Sorgen Hand und Fuß hatten. Doch er glitt in den Schlaf.

    Zwei Stunden später erwachte Joe schweißgebadet. Er hatte geträumt, er sei wieder im Wald und stöhne unter dem Gewicht Lamar Gardiners. Die Jacke des Schwerverletzten hatte sich in einem Ast verfangen, und Joe hatte die Schultern gedreht, um sie loszureißen. Ein Spritzer grellroten Bluts hatte den Schnee befleckt …
    Er stand lautlos auf und ging ans Fenster. Ein eisiger Hauch drang unter dem Fensterrahmen hindurch ins Zimmer. Da werde ich morgen mit Isolierband ranmüssen, dachte er.
    Es war dunkel, es schneite weiterhin, und auch der Wind blies noch immer.
    Er drehte sich um und betrachtete Marybeth, die endlich unter ihren Decken eingeschlafen war. Dann schlich er auf Zehenspitzen nach unten und schaute erst bei Sheridan hinein – Maxine war am Fuß ihres Bettes eingeschlafen –, dann bei Lucy und April, die sich ein Etagenbett teilten. Ihre Gesichter konnte er nicht erkennen, nur ihre schlafzerzausten blonden Haare. Nachdem er die drei kurz betrachtet hatte, kehrte er in sein Schlafzimmer zurück.
    Gebannt starrte er in den Sturm hinaus. Der Wind war stärker geworden. Inzwischen gab es einen schneefreien Fleck auf dem Rasen im Vorgarten, wo braunes Gras zu sehen war. Es war nie der Schnee allein, der in Wyoming Probleme machte. Es war auch der Wind, der ihn zu etwas Hartem, Glitzerndem und Unüberwindlichem formte. Ein wohl dreißig Zentimeter hoher Schneestrom wanderte wie kalter Rauch über den Boden.
    Als Joe mit nackten Füßen auf dem kalten Boden stand, kam ihm plötzlich in den Sinn, dass Lamars Ermordung einen seltsam persönlichen Beigeschmack hatte. Saddlestring war kein gewaltsamer Ort, und Morde geschahen nur ganz selten, doch irgendjemand hatte Gardiner so gehasst, dass er
ihn nicht nur mit Pfeilen zur Strecke gebracht, sondern ihm überdies die Kehle durchgeschnitten hatte, um ihn ausbluten zu lassen wie ein verwundetes Stück Rotwild.
    Joe fragte sich, ob der Mörder noch immer dort draußen war und im Sturm festsaß. Oder ob er es – wie er selbst – aus den Bergen herausgeschafft hatte. Und er fragte sich, ob der Mörder ebenfalls mit sich windendem Magen an einem Fenster stand und vor seinem inneren Auge vorbeiziehen ließ, was an diesem Tag, an dem der Sturm das Twelve Sleep Valley beutelte, geschehen war.

4
    Marybeth rüttelte Joe behutsam wach und hielt ihm ein Telefon hin.
    »Sheriff Barnum«, sagte sie mit über das Mikrofon gelegter Hand. Er setzte sich rasch im Bett auf, rieb sich unsanft übers Gesicht und schaute sich um. Marybeth war bereits fertig angezogen. Die Vorhänge waren noch zu, doch an Decke und Wänden war gedämpftes

Weitere Kostenlose Bücher