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Blutschnee

Blutschnee

Titel: Blutschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Box
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Licht zu sehen. Die Digitaluhr des Radioweckers zeigte 08:20. Das gibt’s nicht, dachte Joe.
    Sofort bekam er Angst, Barnum habe die Hilfssheriffs, die Kriminalpolizei von Wyoming und die Notfalleinheit des Bezirks zusammengetrommelt – und all diese Leute würden in der Stadt auf ihn warten.
    Marybeth las die Panik in seinem Blick und schüttelte den Kopf. »Keine Sorge«, sagte sie, die Hand noch immer überm Mikrofon. Es war sein Handy, nicht das schnurlose Telefon neben dem Bett. »Du glaubst nicht, wie viel Schnee gefallen ist.«
    »Warum hast du mich nicht früher geweckt?«, fragte Joe angeschlagen. »Ich fass es nicht, dass ich so lange geschlafen habe.«
    »Du hast Erholung gebraucht. Und ich glaube nicht, dass irgendwer heute Vormittag irgendwohin fährt.«
    Joe griff nach dem Telefon und schwang sich aus dem Bett. »Sheriff?«
    Barnums Stimme klang tief und rau. »Haben Sie schon rausgeguckt?«
    »Das mach ich gerade«, erwiderte Joe und öffnete die Vorhänge. Grellweißes Licht blendete ihn, und einen Moment
lang war ihm schwindelig. Es gab keinen Himmel, kein Gras, keine Bäume oder Berge. Nur ein gleichmäßiges Weiß.
    »Ich kann nicht mal die Straße erkennen«, staunte Joe.
    »Die Fahrer der Schneepflüge auch nicht«, brummte Barnum. »Wir haben fast einen Meter Neuschnee, und der Wind soll am Nachmittag auf bis zu achtzig Stundenkilometer auffrischen. Alles ist geschlossen – die Landstraßen, der Flughafen, sogar unser Büro, jedenfalls offiziell. Die Telefondrähte sind mal wieder runtergekracht, und der halbe Bezirk hat keinen Strom. Die Jungs von der Kriminalpolizei sind in einem Staatsflugzeug losgeflogen, aber schon bei Casper wieder umgekehrt. Da war ihnen der Sturm aber schon gefolgt, so dass sie zum Landen bis nach Colorado fliegen mussten.«
    Joe blinzelte. Inzwischen konnte er die vagen Umrisse seines Pick-ups erkennen – und eine schneebedeckte Tanne unten im Hof.
    »Und nun?«, fragte er.
    »Keine Ahnung«, seufzte Barnum. »Ich versuche, eine Schneeraupe der Forstverwaltung zu ergattern. Aber ich erreiche niemanden, der weiß, wo die Schlüssel dafür sind.«
    Joe überlegte kurz, Motorschlitten einzusetzen, doch dafür lag der Tatort zu weit weg.
    »Lassen Sie Ihr Handy an«, knurrte Barnum. »Sobald wir uns hier einigermaßen bewegen können, sammeln wir uns und fahren in die Berge. Wenn es so weit ist, müssen Sie in die Stadt kommen, um uns zu zeigen, wo Gardiner abgemurkst wurde.«
    »Ich ziehe Schneeketten auf«, sagte Joe und ging über das Abmurksen hinweg. »Ich werde rechtzeitig da sein.«
    »Haben Sie eigentlich Strom?«
    »Vorläufig schon.«

    »Dann laden Sie Ihr Handy auf«, sagte Barnum. »Wer weiß, wann alle Leitungen repariert sind.«
    »Sheriff?«, fragte Joe, ehe Barnum die Verbindung unterbrechen konnte.
    »Ja?«
    »Gut, dass ich ihn ins Tal gebracht habe, oder?« Joe drehte sich zu Marybeth um, die zufrieden dreinblickte.
    Barnum legte auf.
    »Die Mädchen wüssten gern, ob du dafür zu haben bist, Pfannkuchen zu machen«, sagte Marybeth.
    Joe spähte erneut aus dem Fenster. Das wenige, was er sehen konnte, ließ an das DVD-Standbild eines Meeressturms denken – mit Wellenbergen aus Schnee und über den Boden kriechenden Flockenströmen, die an Gischt erinnerten.
    »Aber hallo«, sagte Joe lächelnd. »Vorläufig fahre ich nirgendwohin. «
    »Die Mädchen werden sich freuen.«
    Dann fiel es ihm ein. »Deine Mutter.«
    »Was ist mit ihr?«
    »Oh«, stöhnte Joe. »Nichts.«

    Nachdem er sich angezogen hatte, stand Joe am Fenster und blinzelte ins Weiß hinaus, während eine Mischung aus Enttäuschung und Angst in ihm arbeitete. Die Gedanken der Nacht setzten ihm noch immer zu, und als ihm die Brutalität, mit der Lamar umgebracht worden war, wieder in den Sinn kam, musste er eine Welle der Übelkeit zurückdrängen. Dass der Täter Gardiner, als er noch lebte und an den Baum geheftet war, die Kehle durchgeschnitten hatte, war besonders schrecklich. Der Mörder musste unvorstellbar gewalttätig sein, und Joe konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass
die Tat nichts Zufälliges hatte. Er nahm an, der Killer habe Gardiner gekannt oder wenigstens gewusst, wer er war und welcher Institution er vorstand. Je länger sich der Beginn der Untersuchung verzögerte, desto mehr Zeit hatte der Mörder, sich aller Indizien zu entledigen, seine Spuren zu verwischen und sich ein Alibi zurechtzulegen. Der Tatort war unzugänglich, und die möglichen Beweismittel –

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