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Blutschnee

Blutschnee

Titel: Blutschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Box
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kam, hatten die Tiere die Heumiete des Bauern so gründlich geplündert, dass sie sich gefährlich zur Seite neigte und jeden Moment kippen konnte. Das Wapitirudel war inzwischen satt und träge in den Windschutz eines dunklen Wäldchens gewandert. Da in Wyoming der Staat für vom Wild angerichtete Schäden verantwortlich war, riefen die Rancher bei den Jagdaufsehern an, wenn Wapitis, Elche, Pronghornantilopen oder Rotwild ihr Heu fraßen oder ihr Eigentum beschädigten. Aufgabe der Jagdaufseher war es dann, die Tiere zu verjagen und den Schaden zu schätzen. Wenn er erheblich war, stand dem Rancher Entschädigung zu, und Joe hatte sich um den damit verbundenen Papierkram zu kümmern.
    Mit einer .22er-Pistole, die mit Platzpatronen geladen war, fuhr Joe auf die schlafenden Tiere zu und feuerte aus dem Fenster. Die Patronen explodierten über den Tieren in der Luft. Es funktionierte: Das Rudel stürmte los, verließ die Wiese, wo es den Stacheldrahtzaun niedergerissen hatte, und verschwand in den Bergen. In diesem Winter werde ich viele Wapitis von Heumieten verscheuchen müssen, dachte Joe. Der viele Schnee trieb die Tiere auf ihrer Futtersuche in die Ebene, und der schlimmste Schnee, der im März und April fiel, würde erst noch kommen.
    Wenigstens lassen sich die von Wapitis angerichteten Schäden meist leicht beheben, dachte er weiter. Bei Elchen war es viel schlimmer, denn die waren dafür berüchtigt, durch massive
Stacheldrahtbarrieren wie durch Zahnseide zu marschieren und den Draht von den Pfosten zu zerren wie Knöpfe von einem Hemd.
    Nachdem er die Wapitis verjagt hatte, hielt Joe vor dem kleinen weißen Haus des Ranchers Herman Klein, der den Betrieb in dritter Generation bewirtschaftete und den Joe als anständigen Menschen kannte. Klein hatte ihm bei ähnlicher Gelegenheit gesagt, er hätte gar nichts dagegen, die Wapitis zu füttern, wenn sie nur nicht so gierig wären.
    Der Rancher trat aus der Scheune, wo er an seinem Trecker gearbeitet hatte, wischte die fettverschmierten Hände am Overall ab und lud Joe zum Kaffee ein. Nachdem sie das winterliche Ranchritual vollzogen und Stiefel und dicke Jacken in der Umkleide gelassen hatten, um sich in Strümpfen an den Küchentisch zu setzen, goss der Rancher Joe einen Kaffee ein, der zu lange auf der Herdplatte gestanden hatte. Während Mrs. Klein Zuckerkekse auf einen Teller drapierte, füllte Joe ein Formular für die Wild – und Fischbehörde aus, in dem er den Schaden an Heumiete und Zaun dokumentierte. Er tat das gern, denn er hielt Herman Klein für einen guten und aufmerksamen Verwalter des Landes – sowohl der eigenen wie der gepachteten Weiden und Auen.
    »Joe, darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
    »Schießen Sie los«, antwortete er und füllte die letzte Frage des Formulars aus.
    Klein tippte auf den Roundup vom Tage, der auf dem Tisch lag. »Was ist bloß in Saddlestring los?«
    Zweiter Bundesbeamter attackiert, lautete die Schlagzeile. Ein Foto zeigte Melinda Strickland bei einer Pressekonferenz vor dem Eingang der Forstverwaltungsstelle Twelve Sleep County, bei der sie den »skandalösen Angriff« »einheimischer Gangster« auf Birch Wardell vom Landverwaltungsamt beklagte.

    »Gibt es tatsächlich organisierte Gewalt gegen Mitarbeiter der Forst – und Landverwaltung des Bundes?«
    Joe sah auf. »Das scheint sie anzunehmen, Herman.« Bei der Pressekonferenz hatte es sich um ein in Twelve Sleep County nie dagewesenes Ereignis gehandelt.
    »Meint sie das ernst?«
    »Ich denke schon.«
    »So ein Bockmist«, schnaubte Klein kopfschüttelnd.
    »Herman!«, tadelte ihn seine Frau und stellte die Kekse auf den Tisch. »Keine Kraftausdrücke!«
    »Ich hab schon weit schlimmere gehört«, sagte Joe lächelnd.
    »Aber nicht von Herman.«

    Sein Handy surrte, als Joe in seinen Pick-up stieg. Er nahm es aus dem Halter am Armaturenbrett.
    »Jagdaufseher Joe Pickett.«
    »Joe Pickett?«, fragte eine weibliche Stimme.
    »Das sagte ich gerade.«
    »Bitte bleiben Sie dran – Melinda Strickland meldet sich sofort.«
    Joe stöhnte innerlich. Strickland war die Letzte, mit der er reden wollte. In der Warteschleife lief Musik, »Last Train to Clarksville«, 1966 von den Monkees eingespielt. Nur die Bundesforstverwaltung setzt ihren Anrufern ein so altes Lied vor, dachte er.
    Joe wartete. Maxine beobachtete ihn, und Minuten vergingen. Vermutlich lief es ganz ähnlich, wenn der Präsident der USA mit dem von Russland reden wollte.
    »Joe?«, fragte Melinda

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