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Blutschnee

Blutschnee

Titel: Blutschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Box
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ohne weiteres zu, jemanden zu töten und hinterher zu behaupten, es sei zum Besten des Opfers gewesen.
    Er kurbelte das Seitenfenster herunter und ließ sich etwas eisige Luft ins Gesicht wehen. Vielleicht verfliegt so ja der Duft von Elle Broxton-Howards Parfüm, dachte er.
    Joe hatte den Eindruck, sein Kopf stecke in einem Schraubstock, und Tag für Tag ziehe jemand die Schraube um eine weitere halbe Umdrehung an.

    Als Joe nach Hause kam, saß Missy im Dunkeln auf dem Sofa und sah fern. Je mehr seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnten, desto deutlicher nahm er die Lage war. Neben dem Sofa lag eine leere Weinflasche, und eine halbvolle Flasche hatte Missy in der Hand. Ihr Gesicht glänzte vor Tränen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Joe zögernd.
    Sie schaute auf. Ihr vager Blick pendelte sich auf einen Punkt links neben seiner Nase ein. Sie war sehr betrunken.
    »In Ordnung?«, fragte sie. »Mir geht’s bombig.«
    Er bedauerte seine Frage bereits.
    »Ich hab Geburts tag«, lallte sie. »Jetzt bin ich dreiundsechzig. Verdammte dreiundsechzig, und ich hab kein Haus, keinen Mann und nicht mal mehr ’nen Freund.«
    Ja, du bist alt, dachte Joe – alt genug, um dich nicht so aufzuführen. Er marschierte zur Treppe.
    »Es war ein langer Abend«, sagte er und hoffte, sie würde es gut sein lassen.
    »Ich sitze in der tiefsten Pampa fest, werde jede Minute älter und vermisse meine Enkelin April.« Sie trank einen Schluck, und ein Tropfen Rotwein lief ihr übers Kinn. »Obwohl sie nicht wirklich meine Enkelin ist.«
    Joe blieb stehen und drehte sich um. »Das stimmt«, fuhr er sie an. »Obwohl sie nicht ›wirklich‹ deine Enkelin ist. Wie großzügig von dir. Du bist offensichtlich sehr beunruhigt darüber. Du bist so aufgebracht, dass du sogar eine Flasche Wein geöffnet hast.«
    Missy fiel die Kinnlade herunter. »Ich kann gar nicht glauben, dass du das zu mir gesagt hast.« In ihren Augen glitzerten Tränen.
    »Tut mir leid«, meinte Joe, doch in seiner Stimme lag kein Mitgefühl. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.« Er wandte sich ab und stieg weiter die Treppe hinauf.

    »Ach, andere Menschen sind dir doch egal«, rief Missy ihm nach. »Weißt du, Joe Pickett, wenn du nicht mein Schwiegersohn wärst, würde ich sagen, dass du ein sehr selbstsüchtiger Mensch bist.«
    Joe blieb erneut stehen, besann sich aber eines Besseren und setzte seinen Weg nach oben fort. Er hörte noch ihr Weinglas gegen ihre makellosen Zähne stoßen, die sechstausend Dollar gekostet hatten.

    Obwohl im Schlafzimmer kein Licht brannte, war Marybeth wach.
    »Joe, hast du dich mit meiner Mutter gestritten?«
    Er stand reglos da und versuchte, den jüngsten Ärger herunterzuschlucken. Stattdessen brach eine lang aufgestaute Wut aus ihm heraus.
    »Wird sie etwa bei uns leben?«, fragte er. »Hat sie etwa vor zu bleiben?«
    Marybeth schaltete ihre Nachttischlampe ein. »Joe, sie macht eine harte Zeit durch. Ich kann gar nicht glauben, dass du dich so aufführst.«
    Joe vermochte die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen. »Sie macht eine harte Zeit durch? Schau uns an, Marybeth. Sie braucht sich doch nur einen neuen Ehemann zu angeln, dann sind wir sie los. Wir haben das Problem mit April, und überall haben Wahnsinnige das Sagen … Ich hab einen Mann am Hals, der irgendwie erwartet, dass ich ihm das Leben rette, und ich bin mir ziemlich sicher, dass da draußen ein Mörder unterwegs ist …«
    »Joe, red nicht so laut«, sagte Marybeth streng.
    »… und ich hab unten eine Schwiegermutter sitzen, die sich aus Selbstmitleid besäuft.«

    »Joe!«
    Er versuchte sich wieder zu fassen.
    »Du brauchst mich nicht daran zu erinnern, was vorgeht«, sagte Marybeth mit blitzenden Augen. »Was erwartest du denn? Soll ich sie bei dem Schnee rauswerfen? Den ganzen Tag lang hab ich versucht, dieses … › Problem ‹ mit April zu verdrängen und was Sinnvolles zu tun. Und du verlierst die Beherrschung und beschwörst alles wieder herauf.«
    Joe bemerkte die Tränen in ihren Augen, war aber noch zu zornig, um sich zu entschuldigen.
    In betäubender Stille machte er sich bettfertig und legte sich zu ihr. Sie schaltete die Lampe aus, wandte ihm den Rücken zu und tat – wie er annahm –, als schlafe sie. Er berührte ihre Schulter, doch sie reagierte nicht.
    Du hast Recht, wollte er sagen. Es tut mir leid.
    Stattdessen drehte er sich auf den Rücken, starrte an die Decke und lauschte auf den eisigen Wind, der am Fenster rüttelte.

    Joe

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