Blutschuld
den Naomi sie beneidete. »Ich möchte wissen, wie Ihr Auftrag lautet und inwieweit die Missionsoperation unter unserem Dach unser Leben beeinträchtigen wird.«
Naomi holte tief Luft. »Gar nicht«, erwiderte sie und fügte eilig hinzu: »Jedenfalls nicht mehr, als bisher bereits der Fall war. Mit etwas Hilfe von Ihrer Seite sind Sie mich auch gleich wieder los.«
»Was für Hilfe?«
»Ich brauche eine Liste der Resort-Gäste, die in den letzten Wochen im Zeitlos ein- und ausgecheckt haben. Außerdem eine Übersicht über alle Tagesgäste in diesem Zeitraum.«
Die unverblümte Direktheit ihrer Ansage trug Naomi Schweigen ein – und eine hochgezogene Augenbraue.
Naomi hatte mit dem Sohn dieser Frau geschlafen. Sie hatte die ganze Nacht durch mit ihm gevögelt, bis sie beide vor Erschöpfung zusammengeklappt waren. Selbst jetzt noch tat Naomi alles weh. Überall erinnerte sich ihr Körper pulsierend und lebendig an diese Nacht voller Lust und Begierde.
Gemma wusste von dieser Nacht. Wahrscheinlich ließ das Naomi in Gemma Clarkes Augen nicht gerade gut aussehen.
Nicht dass Naomi sich den Henker darum geschert hätte, was andere über sie dachten.
Unbehaglich verlagerte sie ihr Gewicht von einem Bein aufs andere. »Schauen Sie«, sagte sie, hob die Hände und spreizte die Finger, »ich bin hier, um dem ein Ende zu setzen, was ein Problem werden könnte. Ich will keinen Ärger machen. Ich will Ärger verhindern! «
Gemmas Mund verwandelte sich in einen dünnen Strich. »Hat dieses Problem, von dem Sie sprechen, etwas mit der Leiche zu tun, die heute Morgen in der Wäscherei gefunden wurde?«
»Was zum Geier wollen Sie …« Naomi legte die Stirn in Falten. »Eine Leiche?«
Gemma Clarke lehnte eine ihrer weiblich runden Hüften gegen die Schreibtischkante. Ihr Ton blieb scharf. »Einer meiner Angestellten von der Haustechnik, Miss Ishikawa. Mark Vaughn. Er wurde mit eingeschlagenem Schädel und sehr tot in einem Container schmutziger Handtücher gefunden.«
Haustechnik. Naomis Gedanken rasten. »Hat die Haustechnik Schlüsselkarten, mit denen man Zugang zu allen Räumen erhält?«
»Ja, selbstverständlich.«
Oh Scheißdreck, des einen Glück, des anderen Pech! Immerhin eines war damit geklärt. Die miese Ratte von Hexer hatte problemlos Zugang zu ihrer Suite gehabt. Aber warum hatte er ihr aufgelauert, woher gewusst, wer Naomi Ishikawa war? Ein harter Zug um ihren Mund verriet ihre Entschlossenheit. »Okay«, log sie, »der Typ ist einer der Gründe dafür, dass ich hier bin. Wie lange hat er hier gearbeitet?«
»Drei Wochen.«
Stimmte die zeitliche Abfolge? Naomi machte einen Schritt vorwärts, blieb dann stehen, als wäre sie vor eine Wand gelaufen und starrte nachdenklich zur Decke hinauf. »Hatte er Freunde hier?«
Gemma musterte sie misstrauisch. »Nicht viele. Ein paar von den anderen Angestellten.«
»Hat die Haustechnik im ganzen Haus zu allem Zugang?«
»Anders ginge es nicht. Die Techniker müssen schließlich ihre Arbeit machen«, antwortete Gemma. Sie furchte die Stirn, als Naomi mit der Faust triumphierend in die Luft stieß.
»Das ist es!«, rief sie. Carson hatte den Hexer bestochen, ihn ins Zeitlos einzuschleusen. So einfach war das Ganze wohl. Dann war der Haustechniker Carson nicht mehr länger von Nutzen gewesen. Wie auch: der Kerl hatte zweimal versucht sie zu töten – eindeutiger konnte man ja wohl kaum versagen. Daraufhin hatte Carson ihn erledigt und die Schlüsselkarte des Hexers kopiert.
Aber ein Hexenjäger, der mit einem Hexer gemeinsame Sache machte?
Und wie hatte Carson die Leiche des Hexers aus dem Schrank geholt?
Ach, verflucht, für die Lösung dieses Rätsels blieb später immer noch Zeit! »Tja, Mrs. Clarke«, sagte Naomi jetzt viel gelassener als zuvor, »ich muss Ihnen leider sagen, dass es verspricht noch unerfreulicher zu werden. Ich glaube, dass die Zielperson, ein Mann namens Joe Carson, bereits den Mordversuch an einem Ihrer Gäste und den Mord an Ihrem Haustechniker begangenhat.« Lügen über Lügen. Lügen aber konnte Naomi West besonders gut. »Gemma, glauben Sie mir, das Letzte, was ich will, ist, dass Ihnen oder Ihrer Familie etwas zustößt.«
»Ach, wirklich?« Gemma zupfte ihre Ärmelaufschläge zurecht, strich sie glatt. »Wie geht es Ihrer Schulter, meine Liebe?«
Für einen kurzen Moment aus dem Tritt gebracht, zuckte Naomis Hand hinauf zu ihrer Schulter, dorthin, wo der Verband unter dem Pullover verborgen war. »Prima«,
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