Blutschuld
Es dörrte ihm die Kehle aus, versengte sie. Phin konnte nichts tun, gar nichts . Ihm blieb nur, sich zur Tunneltür zurückzuziehen.
»Wir sehen uns dann in Ihrem hübschen Gärtchen«, sagte die Stimme über die Sprechanlage, immer noch im Plauderton. Das Feuer leckte an den Ecken der Metallplatte, teilte die Audioübertragung in einzelne unzusammenhängende Silben. »Falls … schnell … retten … vielleicht … Glück.«
Phin schloss nicht einmal mehr die Tür zum Geheimgangsystem hinter sich. Hass beschleunigte seine Schritte, er rannte. Sein Gehirn schaltete auf Automatik, während er sich seinen Wegdurch das Netz aus verschlungenen Passagen und Gängen suchte, immer tiefer in das geheime Labyrinth eindrang. Hass und Wut trieben ihn an.
Töte ihn, mach den Weg frei, damit die anderen sich retten können!
Töte ihn, rette deine Mutter!
Töte ihn einfach!
Phin trat die verborgene Tür auf. Sorgfältig versteckte Angeln knirschten und brachen aus der Wand. Holz und Putz splitterte. Brüllend vor Wut stürzte Phin in den Park, der voller Rauch war. »Wo bist du?«
Grau hing beißender Rauch in den Kronen der Bäume über Phin, geisterhafte Tentakeln aus waberndem Qualm, der in den Augen brannte, in Nase und Rachen, bis Phin Blut schmeckte. Rasch drehte er sich einmal um die eigene Achse, versuchte in den Schatten zwischen den Eichen, die seine Mutter so liebte, etwas zu erkennen, in den Rauchschwaden unter der Weide.
Wut dröhnte mit jedem rasenden Herzschlag in seinem Schädel. »Zeig dich, du Feigling!«
Missionaren, daran hätte er denken müssen, wurde nicht beigebracht, fair zu spielen. Carson ließ sich aus einer Baumkrone auf ihn fallen, ein geschmeidiger Schatten, nichts als Beine und Arme, darauf aus zu töten, blitzschnell und präzise.
Viel zu spät stellten sich Phin die Nackenhaare auf; viel zu spät reagierte er, wirbelte herum. Der Aufprall, Carsons ganzes Gewicht auf seinen Schultern, trieb ihm die Luft aus den Lungen. Er ächzte und schlug auf dem Boden auf, rollte sich hin und her, verzweifelt bemüht, den Angreifer abzuschütteln.
Aber Carson klebte auf ihm, bearbeitete sein Gesicht, seine Rippen mit Fäusten wie Hammerschlägen. Schmerz jagte Phin durch alle Knochen, als er mit einer Skulptur aus massiver Bronze kollidierte und Carson seinen Kopf packte und ihn wie einen Gummiball wieder und wieder gegen das raue Metall schlug.
Phin warf sich herum, holte zum Schlag aus. Seine Faust traf auf weiches Fleisch und Knochen, auf Lippen und ein kantiges Kinn. Carson fluchte, stieß eine ganze Serie von Obszönitäten aus, während er neben Phin unsanft zu Boden ging.
Blut hing an Carsons Lippe, als beide Männer gleichzeitig auf die Beine hochkamen und einander gegenüberstanden.
Phin keuchte, hatte Schwierigkeiten bei all dem Rauch durchzuatmen. Angst zu haben machte es auch nicht leichter. »Du«, japste er, »erbärmliches … Arschloch!«
Ganz langsam richtete Carson sich auf. Mit schmutzigen Fingern tastete er die blutende Lippe ab und hob die Schultern in einem unbekümmerten Achselzucken. Im gedämpften Licht glitzerten seine Finger nass von Blut. »Na sieh mal einer an!«, sagte er leise. »Die Hurenbrut kann die Krallen zeigen wie ein Miezekätzchen.«
»Und du, Abschaum, bekommst nichts, gar nichts!«, spie Phin ihm entgegen. Schmerz strahlte von den Rippen in seinen Körper aus, dumpf hüllte er Phins ganze linke Seite ein. Bei jedem Atemholen sah er Sterne. Aber er sollte zur Hölle fahren, ließe er zu, dass der Scheißkerl ihn wanken sähe.
Das Arschloch hatte seine Mutter erschossen.
Hatte versucht, Phins Gäste umbringen.
Hatte alles den Bach runtergehen lassen, wofür Phin sein ganzes Leben lang hart gearbeitet hatte. Hatte alles ruiniert, wofür seine Mütter geschuftet hatten. Hatte ihn ruiniert.
»Dann bist du kleiner Pisser nicht mal die Hälfte von dem wert, was diese Ladys in dir sehen, nicht wahr?« Carson schüttelte den Kopf. Immer noch kopfschüttelnd klaubte er die Waffe vom Boden, die Phin beim Kampf aus dem Hosenbund gerutscht war. »Och, deine Mami krepiert so oder so, richtig? Es ist zu spät, ihr jetzt noch zu helfen. Aber vielleicht kannst du mich ja dazu überreden, die Quelle zu nutzen, um den Rest davor zu bewahren, an Rauchvergiftung zu sterben. Na, was meinst du dazu?«
»Phin!« Naomis Stimme durchdrang den rauchverhangenen Park. Aber der Phin, der aus Hass und Rachsucht gemacht war, beachtete sie nicht.
Beachtete den Rauch
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