Blutseele
Plötzlich erklang ein hohes Jammern aus dem kleinen Hügel, der Vincets Zuhause bildete. Das Geräusch traf Jenks wie ein Schlag, und er war nicht überrascht, als die Tür plötzlich hell aufleuchtete und Vincet mit einem kleinen Kind im Arm auftauchte, eingehüllt in eine Wolke aus hellgelbem Pixiestaub.
Das kleine Mädchen trug ein weißes Nachthemd, und seine Haare waren ungekämmt. Hinter ihnen klammerten sich zwei Kinder mit großen Augen an den Türrahmen. Zwischen ihnen stand eine matronenhafte Gestalt. Sie weinte, konnte aber die Frischlinge nicht zurücklassen.
In Vincets Gesicht war deutlich zu sehen, dass er sich an die Qualen der gestrigen Nacht erinnerte, als er sich den beiden unter der Bank anschloss. »Das ist Vi«, sagte er kummervoll. »Bitte, du hast gesagt, du würdest helfen.«
Unbeholfen nahm Jenks das Kind eines anderen Mannes in den Arm. Er spürte, wie leicht sie war, und unterdrückte einen Schauder, als die unnatürliche, silbergefärbte Aura des Mädchens ihn berührte. Sie gab ein kreischendes Jammern von sich, in dem zu viel Schmerz für ein so junges Kind lag. Bis legte die Ohren an den Kopf, und Jenks verlagerte seinen Griff, bis er ihre um sich schlagenden Arme fixiert hatte und sie fest umklammert hielt.
»Bitte, sorg dafür, dass es aufhört«, flehte Vincet, während er seiner Tochter staubige Tränen aus dem Gesicht wischte.
Obwohl es gegen seine Instinkte verstieß, drückte Jenks das Mädchen gegen seine Schulter. Wie auf Knopfdruck verklang das Jammern des Kindes und wurde von unheimlicher Stille abgelöst. Bis zischte und zog sich zurück. Der Geruch von Eisen wehte über sie hinweg, als seine Krallen über den Gehweg kratzten, bis er schließlich auf Gras stand.
Jenks zitterte. Ohne zu wissen, was ihn erwartete, löste er das Mädchen von seiner Schulter und hielt es vor sich.
Das Kind öffnete die Augen. Sie waren schwarz, mit silbrigen Pupillen – so silbern wie der Himmel und der Mond. Es war dieselbe Farbe wie ihre unheimliche Aura.
»Bäume«, flüsterte Vi, die offensichtlich nicht mehr Vi war. Ihre Stimme klang eher wie der Wind in den Bäumen. »Dieser kalte Stein bringt mich um.«
Bis zischte. Er hing wie ein missgestaltetes Eichhörnchen an einem Baum und fletschte die schwarzen Zähne. Sein Schwanz peitschte durch die Luft. Vincet stand hilflos neben Jenks. Seine Flügel hingen nach unten, und stille Tränen fielen aus seinen Augen, um zu schwarzem, glitzerndem Staub zu trocknen. Der junge Pixie streckte den Arm aus, und Vi schrie wild: »Ich muss freikommen!«
Jenks hielt das Mädchen unter den Achselhöhlen, sodass Vis Beine frei herunterhingen. Er wusste, dass nicht Vincets Tochter sprach. Aus Vis Augen leuchtete Hass, aber Jenks sah auch ihre zusammengezogenen Augenbrauen und hörte ihr fiebriges Keuchen. Was auch immer Vi in Besitz genommen hatte, es zog die Kraftlinie durch sie. Deswegen wurde ihr Körper heiß.
»Etwas stimmt nicht«, zischte Bis hinter dem Stamm heraus. »Die Statue zieht an der Linie, als würde sie sich von ihr ernähren, und ich kann hören, wie sie direkt in das Mädchen fließt.«
»Wer bist du?«, flüsterte Jenks.
Die Augen des jungen Mädchens schossen zum Mond. »Befreie mich, Rhenoranian!«, bettelte sie. »Ich flehe dich an! Habe ich nicht genug gelitten?«
Rhenoranian? Jenks schlug mit den Flügeln. Das klang wie der Name eines Dämons. Seine Hände waren warm von der Hitze, die Vi ausstrahlte. Sanft stellte er das Mädchen ab, um dann Vis Schultern zu packen, als sie schwankte, ohne sich seiner Anwesenheit bewusst zu sein. »Was bist du?«, fragte er drängend, als er vor ihr in die Knie ging. »Du verletzt das Mädchen. Vielleicht kann ich helfen, aber du verletzt Vi.«
Vi riss die Augen vom Mond, als würde sie Jenks zum ersten Mal wahrnehmen. »Du kannst mich hören?«, flüsterte sie, während ihre schlaff auf dem Rücken hängenden Flügel glühten. Sie konzentrierte ihren Blick auf Jenks, Vincet und Bis, und es schien, als würde Vi sich sammeln. »Gnädiger Rhenoranian! Du bist weise und verzeihend!«
Jenks wich zurück, als Vi sich auf ihn warf und ihre kleinen Arme um seine Knie schlang. Bis zischte bei der plötz lichen Bewegung, und selbst Vincet zog sich ein Stück zurück.
»Bitte, hilf mir«, flehte das Mädchen, während es zu Jenks aufblickte. »Ich werde alles tun, was du willst. Ich bin in dieser Statue gefangen – eine mondsüchtige Nymphe hat mich dort eingesperrt, aus Eifersucht über
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