Blutseele
dafür danken, dass Sie gekommen sind. Ich habe ein paar Fragen, und die I.S. wäre sehr dankbar, wenn Sie helfen könnten.«
Mia seufzte, und Ivy zuckte fast unmerklich zusammen – es klang wie das unheimliche Stöhnen einer verlorenen Seele. »Welche meiner Schwestern hat getötet?«, fragte sie ohne Umschweife und schaute auf die Träne in der Asservatentüte.
Ivys vorbereitete Ansprache löste sich in Luft auf. Erleichtert, dass sie die Formalitäten umgehen konnte, lehnte sie sich nach vorne und stemmte die Unterarme auf den Schreibtisch. »Wir suchen nach Jacqueline.«
Mia streckte ihre Hand nach der Träne aus, und Ivy schob sie näher zu ihr. Die Frau ließ ihre Tasche los, nahm die Tüte und schob einen weißen Fingernagel unter das Siegel.
»Hey!«, rief Ivy und stand auf.
Mia erstarrte und musterte Ivy über ihre Sonnenbrille hinweg.
Ivy hielt den Atem an, stoppte ihren vampirschnellen Griff nach der Tüte und trat zurück. Die Augen der Frau hatten das schockierende, wässrige Hellblau eines Fast-Albinos, aber es war die gähnende Leere darin, die Ivy zögern ließ. Sie stand wie erstarrt, und ihr Herz raste, als sie den rohen Hunger darin sah, der nur von eisernem Willen zurückgehalten wurde. In dieser Frau lauerte Hunger von einer Tiefe, wie Ivy sie nur erahnen konnte. Aber Ivy hatte genug über Zurückhaltung und Willenskraft gelernt, um zu sehen, dass ihre Kontrolle absolut war: ihre ausdruckslose Miene; die Steifheit ihrer Haltung; die Präzision ihrer Atemzüge; und die vorsichtige Art, wie sie sich bewegte, als würde sie die Kontrolle verlieren, wenn sie sich zu schnell bewegte und so aus der Hülle ihrer Aura und ihres Willens ausbrach.
Schockiert und voller Ehrfurcht für das, was diese Frau so völlig in Schach hielt, setzte sich Ivy wieder.
Ein Lächeln verzog Mias Lippen. Das Brechen des Siegels war laut, aber Ivy hielt sie nicht auf, selbst als sie die Träne in ihre Handfläche schüttelte und sie kurz mit der Zunge berührte. »Sie haben sie an einem Tatort gefunden?«, fragte sie, und als Ivy nickte, fügte sie hinzu: »Diese Träne funktioniert nicht.« Ivy holte Luft, um zu protestieren, aber Mia kam ihr zuvor. »Sie haben sie in einem Raum gefunden, der nach Angst stank. Wenn sie funktioniert hätte, wäre selbst der letzte Hauch von Gefühl verschwunden gewesen.«
Überrascht kämpfte Ivy darum, ihre Gefühle unter Kon trolle zu halten. Dass der Raum nach Angst gestunken hatte, als sie ihn betreten hatte, stand nicht in dem Bericht. Nachdem sie ihn verunreinigt hatte, schien es keinen Sinn zu machen. Das mochte ein Fehler gewesen sein, aber den Bericht jetzt noch anzupassen könnte fragwürdig aussehen.
Mia ließ die Träne zurück in die Tüte fallen. »Es war nicht Jacqueline, die getötet hat. Es war keine meiner Schwestern. Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen, Officer Tamwood.«
Ivys Pulsschlag beschleunigte sich. Weil sie den Verdacht hatte, dass Mia ihre Sippe beschützte, sagte sie: »Der Mann gibt zu, dass er das Opfer getötet hat, aber er weiß nicht, warum er es getan hat. Unsere Theorie ist, dass Jacqueline die Träne hinterlassen hat, weil sie wusste, dass die Chance bestand, dass häusliche Gewalt ihr Verbrechen vertuschen würde. Bitte, Mia. Wenn wir Jacqueline nicht finden, wird ein unschuldiger Mann für den Mord an seiner Frau verurteilt werden.«
Als die geöffnete Tüte laut knisterte, fragte Ivy sich kurz, wie der schwarze Kristall wohl schmeckte. »Eine Träne, die älter ist als eine Woche, kann nicht mehr als Leitung für Gefühle dienen«, erklärte Mia. »Und auch wenn die Träne Jacqueline gehört« – sie warf die Tüte zurück auf den Schreibtisch – »ist sie doch mindestens drei Jahre alt.«
Ivy runzelte die Stirn und fragte sich, wie sie erklären sollte, dass das Siegel geöffnet worden war. Das hier war reine Zeitverschwendung gewesen. Gut, dass sie Art nichts davon erzählt hatte. »Und das wissen Sie woher, Ma’am?«, fragte sie frustriert. »Man kann Tränen nicht datieren.«
Mia lächelte, sodass man ihre Zähne sah. Ihre Eckzähne waren ein kleines Stück länger als bei einem Menschen. »Ich weiß, dass sie mindestens so alt ist, weil ich Jacqueline vor drei Jahren getötet habe.«
Gelassen stand Ivy auf und schloss die Tür. Das Brummen des Kopierers verstummte, und Ivy kehrte in der nun einsetzenden Stille zu ihrem Schreibtisch zurück. Sie bemühte sich, ihr Gesicht weiterhin ausdruckslos zu halten.
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