Blutseele
werdenden Raum hallten, verfluchte Ivy sich dafür, dass sie so von Blut abhängig war, dass es einen vorrangigen Faktor in ihrem Leben darstellte. Mia hatte gesagt, dass sie nur üben musste, Nein zu sagen. Ivy hatte lebende Vampire, die dem Blut entsagten, immer verspottet, in der Meinung, dass sie alles verrieten, was sie waren. Jetzt fragte sie sich, ob das nicht genau der Grund war, warum sie es taten.
Der unheimliche Klang endete, als Kisten seinen Fuß vom Pedal hob und nach der blauen Seidentasche griff.
»Vorsicht«, warnte Ivy und packte sein Handgelenk. »Es ist bereits aktiviert und wird dich schneller umwerfen als Tequila.«
Verwundert fragte Kisten: »Das hier? Was bewirkt es?«
Um ihre Nervosität zu verstecken, beugte sich Ivy wieder über ihre Papiere. »Es hält mir Art vom Hals.« Er hielt es an der Kordel wie eine Ratte am Schwanz. Offensichtlich mochte er auch keine Hexenmagie. »Es ist harmlos«, sagte sie und gab es auf, auf die letzte Minute noch zu planen. »Bring einfach Dornröschen, wenn ich dich anrufe.«
Kisten lehnte sich nach hinten und berührte seine vor dere Hosentasche. »Ich habe mein Telefon. Es ist auf Vibrie ren gestellt. Ruf mich an. Ruf mich oft an.«
Ivy erlaubte sich ein Lächeln. Sie legte den Stift zur Seite und schob vorsichtig das Amulett in seiner Hülle in ihre Hosentasche. Kisten drehte sich auf der Bank um, um sie im Blick zu behalten, während sie sich eine Phiole mit Salzwasser in das von einem Mieder aufgebesserte Dekolleté schob. Der Mann im Zauberladen hatte darauf bestanden, dass sie die Phiole mitnahm, da man damit im Notfall die Wirkung des Schlafzaubers brechen konnte. Die Kühle an ihrer Brust ließ sie die Schultern bewegen, bis das Glas sich erwärmte. Kisten grinste breit, als sie den Kopf wieder hob. »Wie sehe ich aus?«, fragte sie und posierte vor ihm.
Lächelnd zog er sie an sich. »Mmmm, todschick, Baby«, sagte er, und sein Atem wärmte ihren Bauch, da er immer noch auf der Bank saß. »Ich mag das Oberteil.«
»Wirklich?« Sie schloss die Augen und ließ zu, dass die Mischung ihrer Düfte ihre Blutlust anregte. Sie schob ihre Hände aggressiv in seine Haare, und seine Finger legten sich um ihren Hintern, während seine Lippen die Unterseite ihrer Brüste fanden. Und sie fragte sich, ob Liebe in Blut zu finden es nicht wert wäre, die Scham zu ertragen, dass sie sich selbst angelogen hatte; sich von anderen hatte sagen lassen, wer sie war, und zugelassen hatte, in dieses scheuß liche Wesen verwandelt zu werden. Weil sie spürte, wie sich Zweifel in ihr breitmachten, entzog sie sich ihm. »Ich muss gehen.«
Kistens Gesicht war ein Bild der Sorge. Sie strich seine Haare glatt und stellte fest, dass sie seine Krawatte zurechtrücken wollte. Oder noch besser, sie ihm vom Hals reißen. »Ich ziehe mich um, dann folge ich dir«, sagte er. »Dein Wein steht unten auf dem Tresen.«
»Danke.« Sie griff nach der Stofftasche mit ihrer Wechselkleidung und zögerte. Sie wollte ihn fragen, ob er glaubte, dass es möglich war, Liebe in Blut zu finden, aber dann hielt die Scham sie zurück. Sie ging mit klappernden Sandalen zur Treppe und fühlte sich, als würde sie diesen Boden vielleicht nie wieder betreten. Oder höchstens so verändert, dass sie nicht mehr wiederzuerkennen wäre.
»Verbrennst du diese Zettel für mich?«, rief sie, und zurück kam ein: »Schon dabei!«
Alle Gäste hatten das Restaurant verlassen und nur die Angestellten unterhielten sich gedämpft, als sie durch die Bar ging. In der Küche war die Musik laut genug aufgedreht, um die Spülgeräusche zu überdecken, und alle genossen die Zeit zwischen Piscarys Rückzug für den Tag und Schichtende. Wie Kinder, die allein zu Hause waren, scherzten sie und zogen sich gegenseitig auf. Ivy mochte diese Zeit am liebsten. Oft lag sie im Bett und lauschte, ohne je jemandem zu verraten, dass sie alles hören konnte. Warum zur Hölle konnte sie nicht einfach dabei sein? Warum war für sie alles so verdammt kompliziert?
Im Vorbeigehen schnappte sie sich eine Flasche von Piscarys billigstem Wein und tauschte ein High-Five mit dem Pizzalieferanten, der gerade zurückkam, als sie das Restaurant verließ. Sie konnte nicht anders als zu bemerken, dass die Atmosphäre in der Küche das absolute Gegenteil von der im I.S.-Hochhaus war. Im Büro überwog Mitleid; in der Küche war es durchtriebene Erwartung.
Kurz nachdem sie am Nachmittag aufgemacht hatten, hatte bereits die gesamte Belegschaft
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