Blutspiele
Sie hatte Angst, weil ich sie angefasst habe.« Nur nicht erwähnen, dass auch Joe mit dieser Warnung gemeint war. Sonst würde er sie instinktiv zurückweisen. Er sollte seine eigenen Schlüsse ziehen. »Ich habe ihr erklärt, dass mit mir alles in Ordnung ist und dass ich mit ihr Kontakt aufnehme, wenn ich etwas merke.«
Nach einer Weile sagte er: »Sie denkt, du hörst tote Menschen, genau wie sie?«
»Sie hat gesagt, das hängt von der jeweiligen Person ab. Es könnte auslösen, dass jemand Gedanken lesen kann oder Heilkräfte bekommt oder vielleicht Blumen wachsen lassen kann. Die besondere Fähigkeit, die er eben in sich trägt.« Sie kuschelte sich an ihn. »Und ich habe ihr gesagt, dass ich es schwer fände, das zu glauben.«
»Natürlich.« Er wirkte abwesend. »Völlig lächerlich.«
»Nichts an Megan ist lächerlich. Es befindet sich nur außerhalb meines Erfahrungsbereichs, daher kann ich es mir nicht vorstellen.«
»Ich kann es mir vorstellen«, gab er mit plötzlicher Schärfe zurück. »Und ich finde es verdammt lächerlich.«
»Jetzt reg dich doch deswegen nicht auf.«
»Warum nicht? Es ist Blödsinn. Tote Kinder, die aus dem Jenseits sprechen, Leichen, die herumspazieren. Das ist Blödsinn. «
»Das werde ich ihr sagen, wenn sie wieder anruft. Sie wird dir vermutlich zustimmen. Aber mit diesem Blödsinn muss sie leben.«
»Nun, aber ich muss das nicht.« Er setzte sich auf und schwang die Beine aus dem Bett. »Ich kann jetzt nicht schlafen. Ich werde bei der Gerichtsmedizin anrufen und nachfragen, ob der Bericht über die Norris-Autopsie schon vorliegt.«
»Es ist fast Mitternacht.«
»Dort ist immer jemand. Wir arbeiten rund um die Uhr an diesem Fall.« Mit einem Schulterzucken schlüpfte er in den Bademantel. »Ed Norris’ Mitarbeiter sind uns bei jedem Schritt auf den Fersen.«
»Soll ich mitkommen?«
»Nein, bleib im Bett. Es wird nicht lange dauern.«
Eve sah ihm hinterher, als er das Zimmer verließ. Sie hatte getan, was sie konnte. Sie wusste nicht, ob es genug war. Es war, als müsste sie mit verbundenen Augen an einem Abhang entlanggehen. Zum ersten Mal hatte sie keine Ahnung, was Joe dachte. Und es war nur eine Vermutung, dass das Ganze etwas mit Megans Fähigkeit zur Übertragung zu tun hatte. Sie griff nach Strohhalmen. Ihr blieb nur, ihm Raum zu lassen und zu hoffen, dass er selbst damit fertig wurde.
Verdammt, das war schwer.
Worüber beklagte sie sich eigentlich? Auch wenn es schwer war, so bekam sie jetzt trotzdem nur einen Bruchteil der Hölle zu spüren, durch die Joe seit Jahren mit ihr ging. Von ihrer ersten Begegnung an, damals, als Bonnie entführt worden war, hatte er versucht, ihr jede Last abzunehmen, ihr den Schmerz zu erleichtern. Dabei war sie voller Abwehr gewesen, als er an jenem Morgen zum ersten Mal ihre Küche betrat.
Jemand klopfte vorsichtig an die Küchentür. »Ms Duncan, FBI. Ich habe an der Vordertür geklingelt, aber es hat niemand aufgemacht. Darf ich hereinkommen?«
Weil sie die Klingel ignoriert hatte. Sie drehte sich wieder zum Herd um. »Ja, vermutlich dürfen Sie das. «
Sie hörte, wie sich hinter ihr die Tür öffnete.
»Ich kann verstehen, dass Sie keine Lust haben, auf das Klingeln zu reagieren. Wie ich gehört habe, wurden Sie von den Medien belagert. Ich bin Special Agent Joe Quinn, FBI. Ich würde Ihnen gern einige Fragen stellen. «
Sie warf einen Blick über die Schulter, während sie das Omelett in der Pfanne wendete. Dunkelblauer Anzug, eckiges Gesicht, braune Augen, vielleicht sechs- oder siebenundzwanzig, gutaussehend. Jung, zu jung. Warum hatten sie ihr nicht jemand Älteren geschickt, mit mehr Erfahrung? »Fragen? Ich habe schon eine Million Fragen beantwortet. Das steht alles in den Akten der Polizei von Atlanta. Fragen Sie doch dort. «
»Ich muss meinen eigenen Bericht schreiben. «
»Bürokratie. Vorschriften. « Sie hob das Omelett heraus und legte es auf einen Teller. »Warum wurde nicht gleich, nachdem es passiert ist, jemand geschickt?«
»Wir mussten auf eine Anfrage der örtlichen Polizei warten. «
»Sie hätten hier sein sollen. Alle hätten sofort kommen sollen. « Ihre Hand zitterte, als sie den Teller nahm und ihn auf ein Tablett stellte. »Ich muss wohl mit Ihnen reden, aber erst muss ich meiner Mutter dieses Omelett bringen. Seit Bonnies Verschwinden hat sie das Bett nicht mehr verlassen. Ich kriege sie nicht dazu, etwas zu essen. «
»Ich nehme das. « Er griff nach dem Teller. »Welches
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