Blutspuk in Venedig
vorwegnehmen. Wahrscheinlich kennen Sie die Stadt nicht. Dazu müßten Sie schon hier geboren sein, und auch dann ist es fast unmöglich. Ich will Ihnen damit nur sagen, welch einen Vorsprung die Maske hat. Sie wird den Blutspuk durchziehen, ohne daß Sie ihr dazwischenfunken. Sie werden immer wieder ins Leere stoßen, das kann ich Ihnen versichern, und die Maske wird Sie an der Nase herumführen.« Claudia Ferrini senkte den Blick und schaute auf die Uhr. »Ich könnte mir vorstellen, daß es mittlerweile schon den nächsten Toten gegeben hat.«
»Das will ich nicht hoffen«, sagte ich.
»Für sie spielt es keine Rolle. Sie ist stark, unwahrscheinlich stark.«
Claudia lächelte. »Aber ich möchte Sie nicht von Ihrer Arbeit abhalten.«
Sie faßte nach ihrer Tasche und zog auch die Lederjacke, die auf einer kleinen Bank lag, zu sich heran. »Wir werden Tage und Nächte des Schreckens erleben. Die Stadt wird sich ducken wie unter mächtigen, blutigen Peitschenhieben, und es ist auch möglich, daß die Maske gerade Sie beide nicht vergessen hat und sich auf den Weg macht, um Sie zu holen.«
»Das wäre uns sogar recht«, erklärte Suko.
In Claudias Augen flimmerte es. »Wie sehr überschätzen Sie sich eigentlich? Habe ich Ihnen nicht deutlich genug erklärt, wie gefährlich die Maske ist?«
»Das haben Sie«, erwiderte Suko nickend. »Aber Sie dürfen uns glauben, auch wir sind nicht ohne.«
»Stimmt, sonst hätte man Sie nicht geschickt.« Sie wollte den Arm heben, um dem Ober zu winken, aber etwas anderes geschah. Jemand stürmte mit Brachialgewalt durch die Tür, als hätte es ein Regisseur so bestimmt.
Es gab keinen der Gäste, der nicht aus seinem Gespräch oder aus seinen Gedanken gerissen worden war. Wie die Marionetten drehten sich die Leute an der Theke und auch an den Tischen um, wobei wir ebenfalls keine Ausnahme machten.
Der Mann war klein, trug einen Mantel und einen Schal um den Hals. In seinen Augen lag der Schrecken, den er erlebt hatte. Er holte einige Male Luft, was in der Stille gut zu hören war. Dann brach es aus ihm hervor. »Man hat einen Toten gefunden, einen… einen zweiten. Im Wasser. Auch er war ohne Gesicht…«
Claudia Ferrini schaute uns an. Sie nickte und flüsterte: »Sehen Sie, es geht schon los…«
***
Dino Zingara hatte den Anblick des Toten nicht vergessen können. Er war verhört worden und hatte den Beamten alles gesagt. Er war dann nach Hause gefahren, hatte mit seiner frommen Gattin darüber gesprochen, die daraufhin ihren kleinen Hausaltar geschmückt hatte, um davor kniend zu beten.
Das tat Dino nicht. Er hockte sich vor die Glotze, stellte den Ton ab, holte die Grappa-Flasche hervor und begann sich zu betrinken. Es half ihm sogar, denn irgendwann, als seine Frau aus dem Nebenzimmer zurückkehrte, fand sie ihren Mann auf dem Sofa liegend, die fast leere Flasche neben sich stehend.
Sie schüttelte nur den Kopf, schaltete die Glotze aus, löschte das Licht und verließ das Zimmer. Ihr Mann blieb auf der Couch liegen. Am anderen Morgen würde es ihm wieder schlechtgehen, sie kannte sich da aus.
So war es dann auch. Als Dino aus seinem Rausch erwachte, verfluchte er sich, danach die ganze Welt und zuletzt auch den verdammten Alkohol. Er schwor sich, so schnell keinen Grappa mehr anzufassen, aber die schrecklichen Bilder hatte auch der Vollrausch nicht aus seinem Gedächtnis bannen können.
Sie waren geblieben, und sie wurden stärker, je mehr Zeit verging.
Fahren wollte er an diesem Tag nicht. Er ließ seine Frau anrufen, damit sie es dem Besitzer und Vermieter der Boote mitteilte. Er selbst blieb in der Wohnung hocken.
Erst am Nachmittag ging es ihm besser. Da stellte er sich vor das Fenster, schaute nach draußen und beobachtete den schmalen Kanal vor dem Haus und die ihn in der Nähe überspannende Brücke.
Seine Frau wollte ihn trösten. Sie wußte Bescheid. Sie hatte auch gebetet und fühlte sich gut. Hinter ihrem Mann blieb sie stehen, den Kopf gegen seine Schulter gelehnt. Was draußen passierte, konnte sie nicht sehen, und mit leiser Stimme sagte sie, während sie dabei seinen Rücken rieb. »Du mußt es vergessen, Dino. Du mußt all die schrecklichen Dinge vergessen.«
»Kann ich das?«
»Es geht schon!«
Sie spürte, wie ihr Mann tief Luft holte. »Nein, Donatella, es geht nicht. Du hast sie nicht gesehen, diese… diese Leiche ohne Gesicht.« Wieder erschienen die Bilder vor seinen Augen. So klar, grausam und scharf, als würde er sie durch eine
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