Blutspuk in Venedig
große Lupe betrachten. »Das Blut, das einmal ein Gesicht gewesen war. Dazwischen die Hautfetzen wie kleine Lappen. All das habe ich zu Gesicht bekommen. Ich habe den Mann doch aus dem Kanal gezogen, und ich hatte zuvor noch mit ihm gesprochen. Es war so schrecklich für mich wie nichts zuvor in meinem Leben. So wahnsinnig schrecklich, Donatella.«
»Ich weiß es, Dino, aber versuche mal, es positiv zu sehen.«
»Wie sollte ich das können?«
»Es hört sich zwar schrecklich an, aber ich sage es dir trotzdem. Daß es den anderen und nicht dich erwischt hat. Es hätte ebensogut sein können, oder?«
»Möglich ist es.«
»Eben.«
»Aber du mußt weiterdenken, Donatella. Daß es mich gestern nicht erwischt hat, besagt nicht, daß es mich nicht noch erwischen könnte. Alles ist möglich.«
»Warum?«
»Ich kann dir die Gründe nicht nennen. Ich fühle es einfach. Etwas Furchtbares kommt auf uns zu, Donatella. Etwas, das bisher tief im Schoß der Vergangenheit verborgen lag. Aber jetzt ist es frei, und es schwebt über der Stadt wie ein mörderisches Schwert. Ich weiß und fühle es, aber ich kann nichts dagegen tun.«
»Dagegen vielleicht nicht.«
Dino kannte seine Frau, er wußte, daß noch etwas nachkam, und er hatte sich nicht getäuscht.
»Du kannst etwas für dich tun. Du legst dich ins Bett und schläfst. Nicht nur tagsüber, du wirst auch die ganze Nacht schlafen und am anderen Morgen erwachen, wo die Welt schon wieder ganz anders für dich und mich aussehen wird.«
Er lachte seine Frau aus, drehte sich um und faßte nach ihren Händen.
Da es im Zimmer dunkel war, sahen beide so aus, als wären zwei Schatten miteinander verschmolzen. »Du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich bei meiner inneren Unruhe auch nur eine Minute schlafen kann.«
»Ich werde dafür sorgen.«
»Wie denn?«
»Durch Schlaftabletten, Dino. Ich werde dir zwei Tabletten oder auch drei geben. Dann vergißt du alles, und der nächste Tag kann zu dir kommen.«
Dino Zingara wehrte sich zwar noch, aber seine Frau ließ nicht locker.
Zehn Minuten später lag er im Bett und schaute auf das alte Holzkreuz, das dem Bett gegenüber an der Wand hing. Donatella kam zu ihm. Sie hielt das Glas mit Wasser in der rechten Hand. Die Flüssigkeit war etwas trübe, denn die Tabletten hatten sich bereits aufgelöst. »Es sind drei, und sie werden dir nichts tun«, sagte sie, als sie den skeptischen Blick ihres Mannes bemerkte.
»Meinst du wirklich?«
»Trink.«
Dino nahm gehorsam das Glas entgegen und trank es aus.
Donatella lächelte, nahm ihm das Gefäß wieder ab und sah sein Kopfschütteln. »Du machst etwas mit mir«, flüsterte er…
»Ich will nur dein Bestes.«
»Das weiß ich doch.« Er lächelte und faßte nach ihrer Hand. Es dauerte einige Minuten, bis Dino schläfrig wurde und sich auch der Druck um Donatellas Finger lockerte. Dann fielen dem Liegenden die Augen zu.
Wenig später schlief er tief und fest.
Seine Frau stand auf. Sie löschte das Licht der kleinen Nachttischlampe, verließ das Zimmer, ging in die Küche und setzte sich an den Tisch. Sie konnte aus dem kleinen Fenster schauen, das gekippt stand. Durch den Spalt drang das Klatschen der Wellen, wenn sie gegen das brüchige Mauerwerk geschleudert wurden. Sie hoffte nur, daß alles gutging und faltete wieder die Hände.
Es war gut, daß sie ihrem Mann drei Schlaftabletten gegeben hatte, denn er wachte tatsächlich erst am anderen Morgen auf, als die Dämmerung bereits fahl über die Dächer der Häuser kroch und den Himmel ungewöhnlich blaß anmalte.
Donatella merkte, wie ihr Mann aus dem Bett kroch, und sie war ebenfalls hellwach. »Wie geht es dir, Dino?«
»Besser.«
»Und sonst…?«
Er lachte leise. »Ich werde heute wieder fahren. Wahrscheinlich muß ich noch mal kurz zur Polizei, aber das ist kein Problem. Ich komme dann gegen Abend zurück.«
»Gut.«
Dino Zingara verschwand in der kleinen Dusche. Seine Frau kochte Kaffee, goß auch die Thermoskanne für ihren Mann voll und legte ihm frische Kleidung zurecht.
Er aß zum Frühstück Weißbrot mit Konfitüre, trank seinen Kaffee und verabschiedete sich von seiner Frau, die ihn lange und fest an sich drückte, als würde es kein Wiedersehen für sie beide geben. »Was ist denn los mit dir?«
»Nichts, Dino, nichts. Ich möchte nur, daß du heute besonders vorsichtig bist.«
»Darauf kannst du dich verlassen.« Er küßte Donatella auf beide Wangen und ging aus dem Haus.
Seine Frau hatte recht
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