Blutspuk in Venedig
könnte. Die Maske scheint mir nicht dumm zu sein, sage ich mal. Sie wird etwas unternehmen müssen, sich zwar auf die Suche nach neuen Opfern begeben, was möglicherweise ihrer eigenen Stärke zugute kommt, aber sie wird wissen, wer sie befreit hat und wie dies alles geschah.«
»Du denkst an uns?«
»So ist es.«
»Negativ, nehme ich an.«
»Wie man’s sieht. Es könnte doch sein, daß sie versuchen wird, uns zu finden. Sie wird in uns nicht eben ihre besten Freunde sehen, kann ich mir denken.«
Ich nippte an meinem Wasser. »Das ist möglich«, gab ich zu. »Darüber habe ich mir auch Gedanken gemacht. Und es wäre nicht das Schlechteste, wenn sie es auf diesem Weg versuchte. Wir wissen zumindest, wie wir uns wehren können. Menschen wie Sid Arnos und dieser Wassertaxifahrer wußten es leider nicht. Es besteht natürlich nach wie vor die Gefahr für andere, denn ich glaube auch daran, daß sich die Maske nicht stark genug fühlt. Sie wird Kräfte sammeln wollen, sie wird, sagen wir mal, sich so stärken, damit sie gegen uns eine Chance hat. Und du darfst nicht vergessen, daß sie heimtückisch ist.«
»Ja, der Angriff aus dem Hinterhalt.«
»Damit müssen wir rechnen.«
Suko trank einen Schluck. »Das war Theorie. In der Praxis sieht es anders aus, und ich frage mich, welchen Anhaltspunkt wir haben. Eigentlich nur Claudia Ferrini.«
»Die noch nicht hier ist.«
Suko lächelte. »Ich frage dich noch einmal. Traust du ihr?«
Ich wiegte den Kopf zuerst zur rechten, dann zur linken Seite.
»Ja und nein. Auf der einen Seite hat sie sich uns offenbart, auf der anderen kann ich mir auch vorstellen, daß sie sich mit ihrem Wissen zurückhält. Ich gehe davon aus, daß sie mehr weiß, als sie uns gegenüber zugegeben hat. Oder denkst du anders darüber?«
»Nein.«
»Eben.«
»Mal eine pragmatische Frage, John. Wie lange sollen wir hier sitzen und auf sie warten? Es war keine Zeit ausgemacht, aber den ganzen Abend will ich hier auch nicht verbringen, so nett es auch sein mag.«
»Wir schauen uns um.«
»Draußen?«
»Genau.«
»Willst du für die Maske so etwas wie einen Lockvogel spielen?«
»Nicht nur ich, auch du wirst dabeisein. Wenn es stimmt, daß wir für die Maske eine Gefahr darstellen, dann muß sie versuchen, diese Gefahr aus dem Weg zu räumen. Sie wird kommen, sie muß kommen, und so lange werden wir auf Claudia nicht warten.« Ich winkte dem Keeper, der eine blütenweiße Jacke trug, und bat um die Rechnung, die ich bekam und unterschrieb. Ein Trinkgeld legte ich auf das kleine Tablett, dann rutschten wir von den weichen Hockern und verließen die Bar. Auch in der Halle war für uns keine Nachricht hinterlassen worden, wie mir ein freundlicher Herr an der Rezeption bedauernd erklärte.
Suko war bereits nach draußen gegangen. Er stand im weichen Licht des Eingangs. Durch die Helligkeit schwirrten Falter, deren Körper große Schatten warfen. Die Dämmerung war bereits dabei, sich über Venedig zu senken. Ich schaute zum Himmel, der wie ein grauer Vorhang wirkte, und tippte Suko auf die Schulter. Er drehte den Kopf und lächelte. »Es ist schön hier«, sagte er.
»Und die Maske?«
»Möchte ich am liebsten vergessen.«
Das konnte ich ihm nachfühlen, denn die Umgebung entbehrte tatsächlich nicht eines gewissen Zaubers. Wir hatten das Wasser der Kanäle dunkel erlebt, es war auch noch dunkel, aber die Reflexe der zahlreichen Lichter wanderten wie helle Perlen auf den Wellenkämmen entlang.
Der Wind hatte sich etwas gelegt. Vielleicht war er auch nur von den alten Häusern zurückgehalten worden.
Ich wollte Suko zu einem kleinen Rundgang überreden, als ich plötzlich zusammenzuckte. Ich hatte etwas gespürt!
Suko war meine Bewegung aufgefallen. Er wollte wissen, was der Grund dafür war. »Die Maske ist in der Nähe!«
»Bitte?«
»Ich spüre es!«
»Wo?«
Ich deutete auf meine Brust. »Das Kreuz, Suko, es hat sich ein wenig erwärmt.«
Mein Freund blieb ruhig, was auch nicht anders von ihm zu erwarten war. Er drehte sich auch nicht voller Hektik um, schaute nicht nach links und rechts, sondern schlug vor, den Bereich des Hoteleingangs umgehend zu verlassen, damit keine Unschuldigen in Gefahr gerieten, falls die Maske noch einmal erschien.
»Okay, gehen wir…«
Diesmal würden wir kein Wassertaxi nehmen. Man konnte sich in Venedig auch trockenen Fußes bewegen, und so tauchten wir ein in das Labyrinth der Gassen, Brücken und Kanäle…
***
Die Maske war glücklich!
Sie
Weitere Kostenlose Bücher