Blutspur des Todes
und dann auf ihre Uhr. Auf der Herfahrt hatte sie die Unwetterwarnung gehört. Sie wollte ihre Tochter abholen, bevor es richtig losging, denn sie wusste, wie sehr sich Emily vor Blitzen fürchtete. Und nun hatte sie auch noch Angst vor einem ominösen Schattenmann, fiel ihr plötzlich wieder ein.
»Warum sollte er überhaupt eine Bank überfallen?« fragte Pakula und lenkte ihre Gedanken wieder auf den Fall.
»Offenbar haben die Täter nicht mal Geld erbeutet.«
»Überprüfen Sie die Opfer, und ich gehe jede Wette ein, dass es irgendeine Verbindung gibt.«
Er warf ihr einen Blick zu, als sei er gar nicht erfreut, dass sie ihm sagte, was er tun solle.
»Die Leute hier waren einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Es war reiner Zufall, dass es gerade sie erwischt hat.«
»Haben Sie mir überhaupt zugehört, Pakula? Ich sage Ihnen, das war kein Zufall.«
»Soll ich Ihnen nicht doch lieber einen Streifenwagen schicken? Nur zur Sicherheit.«
»Ich komme schon klar. Außerdem, wenn Barnett der Täter ist, wird er in den nächsten Tagen bestimmt nicht viel Zeit finden, mich zu belästigen, oder? Ich mache mir nur ein wenig Sorgen um Emily. Vince hat heute Morgen am Flughafen gesagt, ich solle nicht in jedem Schatten nach Barnett Ausschau halten. Sie hat das aufgeschnappt und fürchtet sich jetzt vor einem Schattenmann, wie sie ihn nennt, der angeblich unser Haus beobachtet.«
»Sie glauben, er würde sich tatsächlich in Ihre Nähe wagen?«
»Ich weiß es nicht. Emily sagt, ihre Freundin Bitsy habe jemand gesehen.« An seiner gerunzelten Stirn sah sie, dass Pakula nicht verstand.
»Bitsy?«
»Oh ja, habe ich Ihnen nicht von ihr erzählt? Seit wir umgezogen sind, hat Emily sich eine Freundin ausgedacht. Sie haben doch selbst vier Töchter, Pakula. Hatte denn keine von ihnen eine imaginäre Freundin?«
»Ich würde mir wünschen, ihre Freunde wären Fantasieprodukte. Angie geht zum Beispiel mit einem Jungen, der vor lauter Piercings aussieht wie ein Nadelkissen.« Er rollte die Schultern und streckte den Nacken, als müsse er eine Verspannung lockern. Trotzdem hörte er ihr aufmerksam zu, wie sie an seinem wachsamen Blick erkannte. Pakulas Töchter brauchten sich nicht einzubilden, ihrem Vater entginge etwas.
»Warum zum Geier lässt sich jemand ein Loch durch die Zunge stechen? Ist so etwas nicht lästig?«
»Es soll angeblich das sexuelle Empfinden steigern.«
Diesmal sah er sie an, als habe ihre Bemerkung ihn neugierig gemacht. Für gewöhnlich sprachen sie nicht über Privates, schon gar nicht über Sex. Was sie über Familie und Privatleben des anderen wussten, hatten sie aus beiläufigen Bemerkungen übereinander erfahren.
»Herzlichen Dank«, erwiderte er, klang aber gar nicht erfreut. »Das sind natürlich genau die Dinge, die ein Vater über seine Töchter erfahren will.«
Grace musste lachen. Detective Tommy Pakula war einer der härtesten Cops, die sie kannte. Zugleich aber war er ständig in Sorge um seine Töchter.
Ben Hertz kam mit einem Blatt Papier wedelnd auf sie zu, und als er neben ihnen stand, schlug er mit der flachen Hand auf die Kühlerhaube. Grace war die Geste nur zu vertraut. Das war seine Art, einen Erfolg zu verkünden.
»Wir haben das Kennzeichen überprüft. Der Halter des Fluchtwagens ist ein Dr. Leon Matese. Allerdings fährt der keinen dunkelblauen Saturn, sondern einen schwarzen BMW. Und seit Dienstag letzter Woche ist er geschäftlich in Los Angeles.«
»Lass mich raten«, unterbrach ihn Pakula. »Er hat seinen Wagen am Flughafen abgestellt.«
»Genau. Auf dem Langzeitparkplatz. Und der Saturn …«
»Ist gestohlen«, beendete Pakula den Satz.
»So siehts aus. Ein Deputy Sheriff der Polizei von Sarpy County hat sie auf dem Highway 50 entdeckt und die Verfolgung aufgenommen.«
25. Kapitel
18.28 Uhr
Platte River State Park
Klingen schnitten ihr in die Haut. Zumindest fühlte es sich für Melanie so an, als sie durch das Feld rannte. Wenn die breiten Blätter der wogenden Maispflanzen sie nicht schnitten, schlugen sie ihr ins Gesicht. Sie hielt die Arme schützend vor sich ausgestreckt und geriet immer wieder ins Straucheln, wenn sie über Erdklumpen stolperte.
Jared hatte darauf bestanden, dass sie nicht in den Furchen zwischen den Reihen liefen, sondern quer durch das Feld. So wären sie aus der Luft nicht auszumachen, doch das Laufen wurde geradezu zur Tortur.
Melanie war erschöpft, ihre Brust schien explodieren zu wollen, und jeder Atemzug stach in der
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