Blutspur in East End
verflucht leid. Ich erinnere mich an sie, natürlich. Ich habe ein gutes Personengedächtnis. Die Polizei hat mich auch schon verhört. Ich habe denen alles gesagt, was ich weiß. Ich habe keine Ahnung, wie ich Ihnen helfen soll, Miss.“
„Das weiß ich auch noch nicht so genau, Mr. Feathers. Auf jeden Fall würde ich Sie gerne treffen.“
„Das hat schon lange keine junge Frau mehr zu mir gesagt“, entgegnete er und lachte. „Kommen Sie doch vorbei, ich mache gerade Pause. Ich bin bei Wei Fang in der Soho Street. In einer Stunde ist meine nächste Führung.“
Carol machte sich sofort auf den Weg. Feathers hatte ihr erklärt, dass die Teestube einen goldenen Buddha im Schaufenster hätte. Nach einigem Suchen fand sie die Soho Street. Sofort hatte sie das Gefühl, in eine fremde Welt einzutauchen.
Hier begann Chinatown. Die Geschäfte, Restaurants und Teestuben hätten ebenso gut auch in Shanghai oder Peking stehen können. Es waren viele Touristen unterwegs, die das fernöstliche Straßenbild bestaunten. Doch die Einwohner der Soho Street stammten offenbar ausnahmslos aus dem Reich der Mitte.
Carol erblickte den goldenen Buddha und betrat Wei Fangs Tea Room . Sie erkannte Feathers sofort, denn der Touristenführer trug eine Windjacke mit dem Schriftzug London Adventures . Er grinste und gab ihr die Hand.
„Hallo. Sie müssen Miss Garner sein. Probieren Sie mal den Jasmintee, der ist hier ganz ausgezeichnet.“
Carol setzte sich zu ihm. Feathers bestellte für sie, wobei er Chinesisch sprach. Sie hatte wirklich das Gefühl, mitten in China gelandet zu sein. Natürlich gab es auch in Shrewsbury ein paar fernöstliche Restaurants, aber keine komplette Chinatown. Als Feathers ihr erstauntes Gesicht bemerkte, musste er schmunzeln.
„Ich biete gleich einen Spaziergang durch Soho an. Wenn Sie wollen, können Sie teilnehmen. Ein paar Plätze sind noch frei“, schlug er Carol vor.
Der Tee wurde serviert. Carol nahm einen Schluck. Dann kam sie sofort auf das Thema, das ihr wirklich wichtig war.
„Wie Sie wissen, wurde meine Freundin Tricia Lloyd ermordet. Und vor der Bluttat hat sie an Ihrer Jack-the-Ripper-Führung teilgenommen.“
Die Miene des Touristenführers verdüsterte sich. „Ja, es ist schrecklich. So etwas ist noch nie passiert, seit ich diese Führungen anbiete. Glauben Sie wirklich, meine Tour hätte etwas mit dem Mord zu tun? Die Polizei denkt das jedenfalls nicht.“
„Ich weiß nicht, was ich glauben soll, Mr. Feathers. Ich hatte gehofft, Sie hätten irgendeinen Tipp für mich. Ist Ihnen während der Tour etwas Außergewöhnliches aufgefallen? Gab es einen Zwischenfall? Irgendetwas, das sonst nicht geschieht?“
Nachdenklich runzelte Feathers die Stirn. „Eigentlich nicht. Die Teilnehmer haben sich ganz schön gegruselt. Die einen mehr, die anderen weniger. Jack the Ripper war ja auch ein richtiger Dreckskerl. Es ist schon ein Unterschied, ob man einen Spielfilm im Fernsehen sieht oder selbst an den Tatorten steht, wo damals das Blut geflossen ist. – Hier, schauen Sie mal!“
Feathers zog eine kleine Digitalkamera aus der Tasche. Er holte einige Fotos aus dem Datei-Speicher. Offenbar hatte er die Aufnahmen während des Rundgangs durch Whitechapel gemacht. Carols Pulsschlag beschleunigte sich, als sie zwischen einigen älteren Frauen in Regenjacken ihre Freundin erblickte. Diese Fotos waren wenige Stunden vor Tricias Tod aufgenommen worden. Man sah die Teilnehmer der Tour in tristen Hinterhöfen stehen und auf Brandmauern starren. Das war nicht so spektakulär. Aber dann kam ein Foto, das Carol elektrisierte.
Tricia stand neben einem jungen Mann. Es sah beinahe so aus, als würde sie sich an ihn lehnen. Auf jeden Fall lachte sie ihn offen an. Und das war auch kein Wunder, denn er passte genau in Tricias Beuteschema.
Carol wusste genau, auf welchen Männertyp ihre beste Freundin gestanden hatte. Sie mochte große schlaksige Typen mit ausdrucksvollen Augen und halblangen dunklen Haaren.
Ob dieser junge unbekannte Mann ihr Mörder war?
5. KAPITEL
Feathers wollte ihr das nächste Foto zeigen, aber Carol hielt ihn zurück.
„Warten Sie, bitte. – Dieser Mann neben meiner Freundin, wer ist das?“
„Er hieß Brent, mehr weiß ich nicht über ihn. Bei meinen Führungen gebe ich jedem Teilnehmer ein kleines selbstklebendes Schild, auf das er seinen Vornamen schreiben soll. Wenn jemand eine Frage stellt, dann kann ich ihn direkt mit seinem Namen ansprechen. Das gefällt den Leuten
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