Blutspur in East End
geschlossen hatte, wandte Marsh sich an Brent. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich Ihnen helfen kann“, meinte er.
„Sprechen Sie mit Carol Garner, Sie war Tricia Lloyds beste Freundin. Ich begleite sie nur, weil ich ihr Freund bin“, antwortete Brent, während er auf Carol deutete.
In diesem Moment wusste Carol, dass Brent die Wahrheit sagte. Er war wirklich ihr neuer Freund. Sie hatte in den vergangenen Tagen so viel mit ihm erlebt – es gab keinen Menschen, in dessen Nähe sie sich so gut fühlte. Das war sehr schön für sie. Doch nun konzentrierte sie sich auf den Mann, der Tricia erstochen hatte.
„Sie wollen doch nicht leugnen, dass Sie Tricia gekannt haben, Mr. Marsh?“
Der Anwalt wich ihrem Blick aus und ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen. Plötzlich wirkte er um Jahre gealtert.
„Nein, das hat wohl keinen Sinn. Wie haben Sie mich gefunden?“
„Das ist jetzt unwichtig.“
Marsh lächelte, als ob er in eine saure Zitrone gebissen hätte. „Wissen Sie, Carol, Tricia hat öfter von Ihnen gesprochen. Sie hat sich sehr darauf gefreut, dass Sie endlich nach London kommen wollten. Tricia hat mir einiges über Sie erzählt. Es ist fast schon so, als würde ich Sie kennen.“
„Das ist seltsam, Mr. Marsh. Tricia hat mir gegenüber ein Geheimnis daraus gemacht, Sie zu kennen. Wie das wohl kommt? Ob es ihr peinlich war, sich mit einem verheirateten Mann eingelassen zu haben?“
„Warum sind Sie mir gegenüber so feindselig, Carol?“
„Das fragen Sie noch, Sie Heuchler? Erst verführen Sie meine Freundin – und dann bringen Sie Tricia auch noch um!“
Marshs Gesicht zeigte nacktes Entsetzen. „Wer – ich? Denken Sie ernsthaft, ich hätte Tricia auf dem Gewissen? Sie – ist tot?“
„Ja, sie ist tot. Glauben Sie, mit so etwas mache ich Witze? Wollen Sie mir erzählen, Sie hätten nichts davon gewusst? Das stand doch in allen Zeitungen.“
Der Anwalt wurde leichenblass. Man hätte ihm wirklich glauben können, dass er die Todesnachricht gerade erst bekommen hatte.
„In den Zeitungen? Aber – wann ist das geschehen?“
„Dienstagnacht. Das müssen Sie doch am besten wissen, schließlich ist Tricia durch Ihre Messerklinge gestorben.“
„Das ist ein schreckliches Missverständnis. Ich war am Dienstag und am Mittwoch gar nicht in London. In den Zeitungen lese ich übrigens meistens nur den Wirtschaftsteil. Und ich wusste wirklich nicht, dass Tricia tot ist. Ich habe versucht, sie auf ihrem Handy zu erreichen. Aber das war die ganze Zeit ausgeschaltet.“
„Soso“, sagte Carol ironisch. „Und besuchen konnten Sie Tricia wohl auch nicht, wie? Oder wollen Sie behaupten, Sie hätten ihre Adresse nicht gekannt?“
„Doch, natürlich. Aber ich … ich habe mich nicht getraut.“
„Nicht getraut? Wissen Sie, wie schwachsinnig das klingt?“
„Es ist aber so. Sie kennen ja noch nicht die ganze Geschichte, Carol.“
„Woher auch, wenn Sie uns eine Lüge nach der anderen auftischen.“
„Aber ich war wirklich nicht in London. Ich bin Spezialist für Wirtschaftsrecht und war am Dienstag und am Mittwoch bei einer Fachkonferenz in Birmingham. Sie können meine Frau fragen, die ich mitgenommen habe. Es war ein Versuch, uns zu versöhnen. Wir haben uns in den vergangenen Jahren sehr auseinandergelebt. Es klappt nicht mehr zwischen Janet und mir.“
„Ihr Selbstmitleid können Sie sich schenken, Mr. Marsh. Und die Aussage Ihrer Frau ist nichts wert, so viel verstehe ich auch von Mordprozessen. Sie wird Ihnen bestimmt gerne bestätigen, wo Sie Dienstagabend gegen halb neun waren.“
„Ja, das wird sie. Zu der Zeit war ich nämlich bei einem Festessen anlässlich dieser Konferenz in Birmingham. Und das können ungefähr 50 Anwaltskollegen aus ganz England bestätigen.“
Carol fühlte sich, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie ließ sich in einen der Besucherstühle fallen, die vor Marshs Schreibtisch standen. Es war wie verhext. Carol fühlte sich, als ob sie ein Brett vor dem Kopf hätte. Machte sie sich hier selbst zur Idiotin, während Inspektorin Victoria Shepley längst den wahren Täter hinter Schloss und Riegel gebracht hatte?
Brent berührte sie sanft am Arm. „Ist alles okay mit dir?“
„Gar nichts ist okay, Brent! Ich kapiere einfach nicht, was hier passiert. Tricias Affäre mit diesem scheinheiligen Typen da war ihr großes Geheimnis. Ich dachte, das wäre der Grund für ihre Ermordung!“
Nun ergriff Marsh wieder das Wort.
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