Blutspuren
bestens vertraut. Und ein Unfall abseits des Weges, irgendwo im Wald? Nicht auszudenken, wenn Steffi mit gebrochenen Gliedmaßen, womöglich bewußtlos und unterkühlt irgendwo hilflos ihrem Schicksal ausgeliefert wäre? Immerhin: Es ist Winter. Auch wenn noch kein Schnee gefallen ist, die langen Nächte sind gefährlich kalt.
Der momentane Erkenntnisstand erlaubt zwar keine Antwort auf diese Fragen, doch eines steht fest: Rasches Handeln ist angesagt. Unter Aufbietung aller polizeilichen Möglichkeiten muß die Suche wieder aufgenommen werden, allerdings in einem weitaus größeren Gebiet als bisher.
Und noch ein Gedanke leitet die Männer: Die kriminalistische Erfahrung lehrt nämlich, daß mancher Mörder sein Opfer nach vollendeter Tat versteckt oder gar vernichtet. Dadurch wird nahezu automatisch ein Vermißtenfall verursacht. Da sich dessen äußeres Bild von dem eines harmlosen, zeitweiligen Verschwindens nicht unterscheidet, muß man, selbst wenn derartige Fälle selten sind, auch diese schlimme Möglichkeit erwägen. Sicher ist sicher. Fazit ihrer Überlegungen: Sofortige Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Unbekannt wegen des Verdachts eines Tötungsverbrechens und Übergabe des Falls an das Dezernat II der BdVP mit dem Vorschlag einer stabsmäßig geführten Suche, zu der bergerfahrene Helfer, Hundertschaften der Bereitschaftspolizei und Suchhundemeuten zum Einsatz kommen sollen.
Bereits am Mittag treffen Kriminalisten aus Dresden ein: Der Chef der Mordkommission, Hauptmann Max Bockelt, ein behäbiger, stiernackiger Mittvierziger mit Schmerbauch, aber hellwachem Geist. In seiner Begleitung zwei jüngere Mitstreiter. Mit geübtem Blick und bewährter Routine analysiert das Trio die vorhandenen Unterlagen. Dann zimmert Bockelt mehrere Stunden lang an einem Schlachtplan für die weiteren Ermittlungen. Er sieht vor, die Suche nach dem vermißten Mädchen mit der Fahndung nach einem unbekannten Täter zu verbinden. Nervenaufreibende, organisatorische Vorbereitungen folgen. Doch der MUK-Leiter kennt sich aus. Im Umgang mit den kleinen und großen Entscheidungsträgern ist sein diplomatisches Geschick gefordert. Denn die Vorschläge müssen höheren Orts erst befürwortet werden, ehe Weisungen folgen können. Die Gewißheit, geplante Kräfte und Mittel im folgenden Ermittlungsprozeß auch tatsächlich einsetzen zu können, ist nur in einem zeitraubenden, zähen Prozeß zu erlangen, der Charme, Überzeugungskraft und Autorität voraussetzt.
Der dicke Hauptmann Bockelt versteht sein Handwerk, so daß am nächsten Morgen mehrere hundert Suchkräfte und eine Hundemeute für die Aktion zur Verfügung stehen.
Der Suchraum umfaßt das riesige Territorium zwischen Dippoldiswalde, Glashütte und Zinnwald. Tagelang durchkämmen die Sucher in kleinen Gruppen oder langen Ketten das waldreiche, bergige Gelände. Suchhunde stöbern durchs dichte Unterholz. Anwohner und Durchreisende werden befragt, ob sie zweckdienliche Hinweise geben können. Lautsprecherwagen der Polizei patrouillieren durch die Ortschaften und rufen die Bevölkerung auf, die Suche nach dem vermißten Mädchen zu unterstützen. Die Grenzpolizei wird in die Fahndung einbezogen und verstärkt ihre Kontrollen an den Übergangsstellen und im Hinterland. Bockelt nutzt Ortskenntnis und Bekanntheitsgrad des für das Gebiet zuständigen ABV Hechtmann und betraut ihn mit einigen Teilermittlungen und mit der Leitung einer kleinen Suchgruppe, die zwischen Schmiedeberg und Falkenhain wiederholt zum Einsatz kommt. So verstreichen die Tage. Vergeblich. Kein Hinweis, kein Bekleidungsstück, keine Spur. Schon längst glaubt niemand mehr, das Mädchen lebend zu finden. Jetzt geht es allein um seine Leiche. Beharrlich setzen deshalb die Sucher ihre Arbeit fort. Es ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen, deren Versteck allein der Mörder kennt.
Weitere Tage vergehen. Mißerfolg reiht sich an Mißerfolg. Als das Wetter sich verschlechtert und der erste Schnee fällt, kommt bei den Männern der Suchtrupps Frust auf. Aufmerksamkeit, Disziplin und Motivation sinken mit jedem erfolglosen Tag mehr und mehr.
Hauptmann Bockelt hat nicht nur alle Hände voll zu tun, weitere Suchräume festzulegen, die Kräfte neu zu formieren, ihre Berichte auszuwerten und die Fahndung nach dem unbekannten Täter zu leiten. Vor allem muß er die Einsatzkräfte immer wieder ermuntern, beim Absuchen der zugewiesenen Gebiete keine Nachlässigkeit zuzulassen und das
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