Blutspuren
plötzlich. Kroll entgeht dies nicht. Der Befragte zögert, als müsse er nachdenken, sagt dann: »Weiß ich nicht mehr, kann vor zwei oder drei Monaten gewesen sein!«
Kroll glaubt ihm kein Wort, verzieht aber keine Miene und will wissen: »Bei welcher Gelegenheit?«
»Das war zu Hause bei Vollmers, kurz bevor sie Schluß gemacht haben«, antwortet Lischka prompt.
»Was heißt Schluß gemacht?« fragt Kroll weiter, als wäre er ahnungslos.
»Einfach so, erst waren wir befreundet, jetzt nicht mehr«, bemerkt Lischka kurz.
»Können Sie sich denken, warum?«
»Wahrscheinlich, weil ich einsaß. Weiß der Teufel, woher sie’s erfahren haben«, grinst Lischka verlegen.
Hauptmann Kroll wechselt das Thema: »Was haben Sie vorgestern morgen gemacht?«
Auf Lischkas Stirn glitzern unzählige Schweißperlen. Um eine Sekunde Zeit zu gewinnen, fragt er zurück: »Vorgestern?«
»Ja, vorgestern, Dienstag, den 28. März 1972«, brummt Kroll.
Wieder scheint Lischka zu überlegen, läuft aufgeregt hin und her. Dann, als wäre es ihm gerade eingefallen: »Ach ja, geschlafen bis nach neun, dann an der Antenne gebastelt!« Kroll kräuselt die Stirn, versteht nicht. Lischka klärt ihn auf: »Hab mir doch ’n Fernseher gekauft. Um zwölf bin ich dann zur Schicht.«
Wieder wechselt Kroll das Thema: »Und was trugen Sie vorgestern für ’ne Bekleidung?«
Lischka hat sich inzwischen einigermaßen gefangen, antwortet sicher: »Genau die gleiche wie heute. Die hängt in meinem Spind.«
Doch Krolls nächste Frage ist ihm höchst fatal: »Zeigen Sie sie mir?«
Als würde Lischka damit rechnen, daß der Staatsgewaltige sein Vorhaben aufgibt, gibt er zu bedenken: »Aber die Umkleideräume sind drüben im Haus zwei!« Doch Kroll nickt mit dem Kopf, ja, er will sie sehen.
An Lischkas Spind hängt ein Vorhängeschloß. Als er es öffnen will, schiebt Kroll ihn sanft zur Seite und nimmt ihm die Schlüssel aus der Hand: »Lassen Sie mich das machen!«
Kroll öffnet den schmalen, hölzernen Spind: Auf dem Schrankboden schwarze Halbschuhe, an der Kleiderstange zwei Bügel mit Hose, Hemd und Anorak. Sein Blick streift das obere Fach: Einige leere Eierbehälter, zerknülltes Butterbrotpapier, eine Einkaufstüte. Sonst nichts Auffälliges. Oder? Dazwischen liegt noch ein ölverschmierter, grauer Lappen, zu einem unförmigen, kleinen Bündel geformt. Mit spitzen Fingern lüftet Kroll das kleine Päckchen. Was ist das? Den erfahrenen Untersucher durchfährt ein Riesenschreck: Aus dem schmutzigen Textil legt er Teile eines menschlichen Unterkiefers und einige lose Zähne frei.
»Und was ist das hier, Herr Lischka?« herrscht Kroll ihn an.
Lischka schießt das Blut bis unter die Schädeldecke, er sackt in sich zusammen, zittert am ganzen Körper und schluchzt verzweifelt: »Warum, warum ist das Mädchen nur gekommen? Ich hab doch noch Bewährung!«
»Wo ist die Leiche?« will Kroll wissen.
Lischka winselt: »Ich hab sie zerlegt und weggeschmissen im Bucher Wald.«
»Waren Sie’s allein?«
»Ja«, stöhnt Lischka zermürbt.
»So, Herr Lischka, für Sie ist jetzt Schichtschluß«, sagt der Kriminalist, »Sie sind festgenommen!«
Zwei Polizisten des Betriebsschutzes nehmen Lischka bis zu seiner unfreiwilligen Fahrt zum Präsidium in Obhut. Kroll ruft Meinicke an, der immer noch über dem Untersuchungsplan brütet. Er faßt sich kurz: »Alle Maßnahmen sofort abbrechen, Tatverdächtiger ist gefaßt und geständig, ausführliche Vernehmung vorbereiten, Wischnewski unverzüglich hierher in Marsch setzen, Spurensicherung im Garderobenschrank Lischkas, weitere Befehle abwarten!« Krolls Mitstreiter triumphieren über das unerwartet schnelle Ende der Vermißtensache. Doch sie wissen auch, daß dieser Arbeitstag noch lange nicht zu Ende ist.
Stunden später. Kaum hat Wischnewski seine Arbeit im Transformatorenwerk abgeschlossen, muß er mit Meinicke und großer Technik erneut ausrücken. Lischkas Wohnung und Keller müssen durchsucht, weitere Spuren gesichert werden. Indes sitzt der Festgenommene gesenkten Hauptes auf einem Schemel vor Krolls Schreibtisch, sich ganz dem Schicksal hingebend. Seine Augen starren gedankenvoll ins Leere. Der Hauptmann gestattet ihm, zu rauchen, weil er zunächst wichtige Telefonate führen muß. Als er damit fertig ist, blickt er Lischka mit ernsten Augen an, betätigt ein Tonbandgerät und leitet die Beschuldigtenvernehmung mit der Frage ein: »Welcher Teufel hat Sie geritten, den Unterkiefer des Mädchens in
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