Blutstein
klingelte.
Er drosselte die Geschwindigkeit und holte es aus der Jackentasche.
»Ja, hallo?«
»Wo hast du die ganze Zeit gesteckt, Per, ich habe schon so oft
versucht, dich zu erreichen.«
Das war Marika. Per fühlte, wie sein schlechtes Gewissen schwer auf
seine Schultern drückte, aber er suchte weiterhin konzentriert die Straßen ab.
»Bei der ... ich hatte doch einen Termin.«
Er wollte ihr nichts von dem Polizeiverhör erzählen, und Marika
fragte auch nicht nach.
»Du musst sofort zum Krankenhaus kommen«, sagte sie nur.
»Das kann ich jetzt gerade nicht, Marika«, antwortete Per, während
seine Augen von rechts nach links wanderten. Kein Jerry, nirgendwo. »Ich komme,
sobald ich kann, aber jetzt gerade muss ich ...«
Sie unterbrach ihn:
»Ich habe mit Stenhammar gesprochen.«
»Stenhammar?«
»Das ist Nillas Arzt, erinnerst du dich nicht an ihn, Per?«
»Doch, natürlich, ja ... was hat er denn gesagt?«
Seine Exfrau schwieg am anderen Ende der Leitung.
»Was ist denn, Marika?«
»Sie hat einen Tumor«, sagte sie leise. »Eine besondere Sorte ... Er
wächst nicht schnell, aber er muss entfernt werden.«
Per wurde noch langsamer, er schloss die Augen für einen Moment.
»Ja«, erwiderte er mit gefasster Stimme. »Aber das wussten wir doch
schon, oder?«
»Aber er sitzt an einer Ader.«
Per verstand sie nicht.
»An einer Ader?«
»Ja, er hat sich um die große Hauptschlagader gelegt. Um die Aorta.«
»Was bedeutet das?«
Marika schwieg erneut, bis sie ihm mit gedämpfter Stimme antwortete:
»Niemand wagt es, sie zu operieren.«
»Aber ... das müssen sie!«, rief Per.
Er hörte ein Schluchzen.
»Sie müssen , Marika «, wiederholte
Per.
»Georg und ich waren vorhin eine halbe Stunde bei Stenhammar. Er hat
schon mit mehreren Gefäßchirurgen telefoniert, aber keiner will das machen.«
Aber sie müssen ,
sagte eine Stimme in Pers Kopf, sonst gibt es doch keine Hoffnung!
»Marika, ich bin gerade mit dem Auto unterwegs und muss noch eine
Sache für Jerry erledigen ... Aber ich melde mich, sobald ich kann, wieder.«
Sie erwiderte etwas, aber er hatte die Verbindung schon
unterbrochen.
Dann beschleunigte er, jetzt musste er unbedingt Jerry finden. Um
alles andere könnte er sich später Gedanken machen.
Keine Hoffnung
für Nilla , sagte die innere Stimme. Aber es muss doch Hoffnung geben .
Mit leerem Blick starrte er durch die Windschutzscheibe. Nilla ...
Sie müssen
operieren!
Er befand sich auf der Ausfallstraße und kam an einer Tankstelle
vorbei, rechts und links war die Straße von Wiesen gesäumt, und über die
Autobahn führte eine schmale Brücke. Hier war nur noch wenig Verkehr.
Bald würde die Autobahnauffahrt kommen, er konnte genauso gut jetzt
schon umdrehen.
Pers Blick wanderte über die Brücke und registrierte einen dunklen
Pkw auf der anderen Seite. Der Wagen hatte auf der Straße angehalten, die
Beifahrertür öffnete sich, und jemand stieg aus.
Es war ein alter Mann mit gebeugtem Rücken und einem grauen Mantel.
Per erkannte Jerry sofort.
Der Pkw entfernte sich rückwärts von Jerry, der wie angewurzelt
dastand. Er sah sich um, wirkte verwirrt und schlurfte dann los.
Per stieg auf die Bremse und hielt den Wagen an – er hatte Jerry
jetzt zwar gefunden, aber er konnte nicht zu ihm. Die Autobahn war dazwischen.
Wie musste er fahren, um auf die Brücke zu gelangen? Er kannte sich hier
überhaupt nicht aus.
Hektisch schaltete er in den Rückwärtsgang. Er wollte gerade gegen
jede Regel auf der Straße wenden, als er sah, dass der Pkw, aus dem Jerry
ausgestiegen war, anhielt. Und dann auf einmal Fahrt aufnahm.
Und immer schneller wurde. Es war ein roter Wagen, ein Ford
vielleicht – war es derselbe Wagen, der vor drei Tagen am Steinbruch gestanden
hatte? Der Fahrer war auch dieses Mal nur als dunkler Schatten mit
Baseballkappe zu erkennen.
Der rote Pkw fuhr auf die Brücke und auf Jerry zu, aber anstatt in
der Spur zu bleiben oder langsamer zu werden, zog der Fahrer den Wagen an den
Fahrbahnrand und gab Gas.
Per war hundertundfünfzig Meter entfernt, vielleicht zweihundert. Er
hielt an, riss die Autotür auf und rief, so laut er konnte.
»Jerry!«
Aber der schlurfte weiter mit gesenktem Kopf, um sich gegen den Wind
zu stemmen. Per sprang aus dem Auto und legte die Hände zu einem Trichter an
den Mund.
»Papa!«
Dieses Mal schien Jerry ihn gehört zu haben. Er drehte den Kopf und
sah in Pers Richtung. Aber da war der rote Wagen bereits wenige Meter
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